01.01.2022
BarKultur

Tiki "Ke Aloha"

(Hawaiianisch für "Prost", "Zum Wohl")

Redaktion: Marc Thiele

Ja, es ist Winter und ja, mit Südsee und Cocktails verbindet man meistens sommerliche Temperaturen, Strand und angenehme Zeiten. Das haben wir alles gerade nicht. Vermutlich werden wir alle jetzt erst mal für ein paar Wochen mehr Zeit Zuhause verbringen und ehrlich, was ist besser, als ein schöner Drink am Abend, der einen zumindest aromatisch in schöne, warme und freundliche Gefilde bringt? Hawaii lässt grüßen. Tiki erlebt gerade seine zweite Renaissance und wir können im Moment alle ein wenig Farbe im Leben gebrauchen, für die Moral und die gute Laune - als Barflys natürlich dann auch am liebsten mit einem Mai Tai in der Hand. Darum ein Tiki-Artikel im Winter. Und wenn Sie das gerade doof finden, nutzen Sie die Zeit und üben die Cocktails bis zum Sommer. Dann passt Tiki auf jeden Fall. Und nun ein wenig Geschichte....

Den ersten Kontakt mit der polynesischen Tiki-Kultur hatten Soldaten während des 2. Weltkrieges im Pazifik, von wo sie erste Elemente und Einflüsse mit nach Hause brachten. Zu einer wahren Modewelle kam es jedoch erst, als Hawaii, der Aloha State, im Jahr 1959 der 50. Bundesstaat der USA wurde. Die Begeisterung der US-Amerikaner für die Inselkette im Pazifik war gigantisch. Sie hatten nun ihr eigenes Paradies auf Erden, ein Traumziel, einen Sehnsuchtsort. Fast alle Lebensbereiche wurden in den folgenden Jahren von einer neuen Modewelle erfasst, Mode, Design, Literatur, Musik oder auch Kulinarik. Der Tiki-Style war geboren und bis in die frühen 1960er Jahre „en vogue“.

Überall in den USA tauchten plötzlich Elemente der polynesisch-hawaiianischen Kultur auf, meist angelehnt an die namensgebenden Tikis, geschnitzte oder aus Stein gefertigte polynesische Götter- oder Ahnenfiguren. Bambus und im Pazifik heimische Hölzer wurden für den Hausbau und viele Einrichtungsgegenstände wie z.B. Lampen verwendet, aber vor allem in der Gastronomie war Tiki ein Megatrend. Auch ein Zusammenhang der Tiki-Welle mit der Entwicklung des ebenfalls von Hawaii stammenden Wellenreitens (in seiner modernen Form) lässt sich nicht von der Hand weisen, begann doch auch hier der große Boom in den 1950er Jahren in den USA.

In den 1970er Jahren ließ die Begeisterung für Tiki deutlich nach und die Elemente dieser Modewelle verschwanden ebenso schnell wie sie gekommen waren. Der Begriff aber blieb und war fortan das Synonym für alles mit Bezug auf die Südsee. Mitte der 1990er Jahren kam es zu einem ersten Tiki-Revival, das sich vor allem in der Feierkultur zeigte. Tiki-Bars schossen wieder wie Pilze aus dem Boden, gefeiert wurde im hawaiianischen Luau-Stil und der Mai Tai war einer der beliebtesten Cocktails in den amerikanischen und europäischen Bars. Aber auch diese zweite Welle ebbte irgendwann Anfang der 2000er Jahre wieder ab, nicht jedoch ohne diesmal dauerhaft Spuren zu hinterlassen, und zwar an den Bartresen der Welt. Kaum eine Hotel- oder Cocktailbar, die nicht einen Mai Tai oder Zombie auf der Karte stehen hatte. Zum Leidwesen aller Tiki-Fans verbindet man heute aber Dank der modisch grenzwertigen 1990er Jahre auch viel Schrilles mit Tiki. Bunte Hawaii-Hemden, bunte (und schrecklich süße) Cocktailkreationen, die heutzutage niemand mehr im Glas haben möchte.

Seit ein paar Jahren erlebt Tiki nun ein erneutes Revival, wenn auch vorrangig in der Barszene. In vielen Städten gibt es wieder Tiki-Bars, die Gott sei Dank nicht mehr viel mit jenen aus den 1990er Jahren gemein haben. In manchen ist das Hawaii-Hemd auch heute noch getragener Ausdruck der Tiki-Passion, aber primär sieht man die Weiterentwicklung auf der Barkarte und schmeckt sie stilecht im Tiki-Mug. Vorbei sind die Zeiten der blauen, gelben oder roten Gruselcocktails, die schlechten Alkohol mit Massen von Zucker, Sahne und Sirup überdeckten. Heutzutage spielen qualitativ hochwertige Zutaten, exquisite Rums, selbstgemachte Sirups und Biofrüchte die Hauptrollen bei Mai Tai‘s und Co. In Fachforen und facebook-Gruppen sind rege Diskussionen im Gange, wie welcher Tiki-Cocktail am besten und am originalgetreuesten zubereitet wird. Welcher Rum ist der Richtige, welcher ein absolutes NoGo. Nimmt man selbstgemachtes Zuckersirup aus Kristallzucker, aus Rohrzucker oder Demarara-Zucker? Orgeat oder Mandelsirup? Kaufen oder selber herstellen? Ob Sie es glauben oder nicht, das alles macht tatsächlich einen Unterschied, den man schmeckt. Aber natürlich ist der Mai Tai nicht der einzige Tiki-Cocktail, nur eben der bekannteste.


Nun da wir erfolgreich von der Tiki-Geschichte zur Barkultur übergeleitet haben, dürfen zwei Männer nicht unerwähnt bleiben, die untrennbar mit Tiki verbunden sind und durch ihren vermeintlichen Urheberstreit um einen der bekanntesten Cocktails der Welt in die (Bar)Geschichte eingegangen sind.

Victor „Trader Vic“ Bergeron und Donn Beach aka „Don the Beachcomber“

Beide nehmen für sich die Erfindung des Mai Tai in Anspruch, was schlussendlich in einem Rechtsstreit mündete, den Bergeron für sich durch einen Vergleich entscheiden konnte.

Donn Beach gilt allgemein als einer der Erfinder der Tiki-Kultur in den USA. In den 1930er Jahren eröffnete er in Hollywood die erste Bar im Tiki-Stil und nannte Sie „Don the Beachcomber“. In den Folgejahren entstand daraus eine erfolgreiche Kette von Bars in den ganzen USA. Beach beanspruchte für sich die Erfindung des Mai Tai unter dem Namen Mai Tai Swizzle, jedoch verwendete er dafür auch weitere Zutaten, wie Pernod und Angostura, die im heute anerkannten Mai Tai Rezept nicht vorkommen.

Victor Bergeron lebte in San Francisco und eröffnete dort 1934 sein erstes Restaurant, damals noch unter dem Namen Hinky Dink‘s. Erst nach einer Kooperation mit einer Hotelkette entstand der Name Trader Vic‘s, unter dem vor allem in den 1950er und 1960er Jahren eine ganze Reihe von Bars in den USA eröffnet wurden. Nach einem Tiefpunkt in den 1980er/199er Jahren, als Tiki nicht mehr angesagt war, gibt es heute weltweit wieder 18 Bars unter dem Markennamen Trader Vic‘s. Laut Bergeron hat er den Mai Tai im Jahr 1944 in San Francisco erfunden, veröffentlichte das Rezept jedoch erst 1974 in seinem Buch „Trader Vic‘s Bartender‘s Guide - Revised“. Die meisten der heute gemixten Mai Tai‘s entsprechen weitestgehend diesem Rezept, auch wenn es in Details wie z.B. dem verwendeten Rum, Abweichungen gibt.

Es ist urheberrechtlich nicht möglich, Bildmaterial von Donn „The Beachcomber“ Beach und Victor „Trader Vic“ Bergeron zu veröffentlichen. Alle Rechteinhaber leben in den USA und haben auf unsere Anfragen leider nicht reagiert. Wie dem auch sei, natürlich sind wir online fündig geworden. So gibt es einige Fotos der beiden Tiki-Legenden und sogar eine Videodokumentation auf YouTube über Donn Beach, im Folgenden der Link. Diese vermittelt auch einen guten Eindruck, was Tiki in den 1950er Jahren war, wie es aussah und welches Lebensgefühl Tiki vermittelte.

Teaser Trailer zur geplanten Don the Beachcomber Dokumentation: https://youtu.be/fEbAUDou1Ls


Neben dem Mai Tai sind es vor allem der Zombie, der Dark & Stormy, der Planters Punch und der Hurricane, die als bekanntere Vertreter der Tiki-Cocktailkultur angesehen werden. Aber auch der klassische Grog, der brasilianische Caipirinha oder kubanische Daiquiri werden manchmal dazu gezählt, vielleicht als Ursprungselemente, die die US-Amerikanischen Barkeeper bei der Erfindung der Tiki-Cocktails als Inspirationsquelle heranzogen.

Als Tiki-Cocktails bezeichnet man im Allgemeinen Drinks, die auf Rum und Fruchtsäften basieren. Ein wenig komplexer sind sie dann aber schon, denn es ist eine Kunst, den fruchtigen Geschmack der Südsee in ein Glas zu bringen, ohne dass der Alkohol im Vordergrund steht oder die Komplexität des Cocktails verloren geht. Zitrusfrüchte, Gewürze und andere tropische Zutaten sind daher ebenfalls Bestandteile. Aber Vorsicht. Dadurch, dass der Alkohol oft von meist süßen Aromen maskiert wird, sind Tiki-Cocktails nicht ungefährlich. Man unterschätzt leicht ihren „Bums“! Natürlich gehörten Tiki-Drink stilecht in einen Tiki-Mug und wird meistens mit tropischen Früchten garniert.

Den Mai Tai findet man heute in nahezu jeder Bar auf der Welt. Egal ob Gruselbude mit Dauer-Happy-Hour, stylische Hotelbar oder stilechte Tiki-Bar. Den Unterschied macht die Qualität und hier vor allem die der verwendeten Zutaten. Der Preis ist immer eines der Kriterien an denen man schon auf den ersten Blick erkennen kann, ob man zumindest die Chance auf einen guten Mai Tai hat (oder generell überhaupt einen guten Cocktail). Keine gute Bar, die gute Zutaten verwendet, kann aufwändige Cocktails unter 10 € anbieten und selbst das ist schon grenzwertig. Von 5€ Happy Hour Sparangeboten sollte jeder Barfly also geflissentlich Abstand nehmen.

Bei Tiki-Cocktails spielt Rum eine ausschlaggebende Rolle. Arbeiteten Bars früher hauptsächlich mit Standardprodukten der großen Industriemarken, ist das Angebot an hochwertigen und geschmacklich unterschiedlichen Rums heutzutage fast schon unüberschaubar und eine Wissenschaft für sich. Welcher Rum für welchen Cocktail der Richtige ist, wird unter Cocktailfans und Barkeepern oft aufs heftigste diskutiert und die richtige Antwort gibt es wohl eher nicht. Es ist Geschmackssache. Schaut man alleine in die facebook-Gruppe „Cocktails und Barkultur“ mit knapp 2.800 Mitgliedern finden sich dort unter dem Suchbegriff „Mai Tai“ unzählige Rezepte und Varianten mit oft angeregten Diskussionen. Auch eine Internetsuche zeigt, wie variabel Mai Tai Rezepte ausgelegt und dargestellt werden. Jedes Suchergebnis bietet einen anderen Weg zum Genuss.

In der HINDENBURGER Redaktionsbar haben wir bereits eine Vielzahl von Tiki-Rezepten ausprobiert, allen voran natürlich diverse Varianten für den Mai Tai, aber auch der Hurricane steht seit einem Besuch in der Berliner Stagger Lee Bar ganz hoch im Kurs. Mittlerweile stellen wir z.B. Sirupe selber her und nutzen ein Orgeat, das man im normalen Einzelhandel leider nicht bekommt. Natürlich könnte man auch das selber machen, aber der Aufwand dafür ist schon recht hoch. Natürlich sind das hohe Ansprüche und selbstverständlich reichen für den Anfang auch bei den großen Handelsketten erhältliche Sirupe (wobei Zuckersirup wirklich schnell selber hergestellt ist).

Beim Rum wird es für uns da schon deutlich komplexer, denn da können wir einfach keinen Industriestandard empfehlen. Die klassische Massen-Regalware schafft es normalerweise nicht, im Tiki-Cocktail zu überzeugen. Hier sollte man - wenn vor Ort vorhanden - auf den Spirituosenfachhandel zurückgreifen oder tatsächlich auf den Onlinehandel.

Schon der Mai Tai erfordert zweierlei, in manchen Rezepten gar dreierlei Rum, den man normalerweise nicht mal eben im Laden nebenan bekommt. Einen guten dunklen jamaikanischen Rum, einen weißen Rum Agricole und manchmal eben auch einen weißen Overproof Rum. Die einzelnen Rumsorten jetzt zu erklären würde heute tatsächlich den Umfang dieses Artikels sprengen, weshalb wir Sie auf eine spätere Ausgabe vertrösten müssen, aber versprochen, das Thema steht auf dem Redaktionsplan.

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Aber genug der grauen Theorie, kommen wir zum bunten Genuss oder besser zu dem, was Sie brauchen um auch Zuhause den ein oder anderen Tiki-Cocktail stilecht zuzubereiten.

Welche Bargrundausstattung Sie brauchen und welche Zutaten wir empfehlen erfahren Sie bei unserer Tiki Shopping Tour.
Zu guter Letzt dürfen natürlich auch ein paar Rezepte (Mai Tai und Zombie) nicht fehlen und schon steht einem grandiosen Tiki-Abend nichts mehr im Weg.

„Ke aloha“, wie die Hawaiianer sagen oder auch „Zum Wohl!“