Der Außenbereich des Berderhof mit Sitzmöglichkeiten Der Außenbereich des Berderhof mit Sitzmöglichkeiten
Foto: Christian Hornung
Der Außenbereich des Berderhof
01.08.2024
Gastro

Berderhof Restaurant Landwirtschaft in Willich-Schiefbahn

Redaktion: Christian Hornung

Wer gerne sehr lecker essen geht und sich parallel dazu Sorgen über das Thema Nachhaltigkeit, über lange Transportwege und komplizierte Lieferketten macht – der kann sich im Berderhof einfach mal komplett entspannen. Wer wissen möchte, was für eine Reise das 180-Gramm-Filetsteak für 38,50 Euro und das 220-Gramm-Rumpsteak hinter sich haben, muss einfach nur über die Hecke schauen. Oder – wie wir bei unserem leider verregneten Testtag mitten im Juli – aus dem Fenster.

Hier grasen genau die Rinder, die das vor allem für seinen Spargel bekannte „Restaurant Landwirtschaft“ im Berderhof am Feldrand von Willich-Schiefbahn seinen Gästen kredenzt. Die Schweine und das Geflügel haben es auch nicht viel weiter, Schweinefleisch kommt auch aus Schiefbahn, die Hühner sind aus Anrath. Das alles bürgt schonmal für Frische, und auch die Wildgerichte sind laut Imagefilm auf der Homepage des wunderschön gelegenen 500 Jahre alten Ensembles oft ganz spontan auf der Karte: Besitzer Georg Heyes habe einen Jagdschein, und sein Koch erzählt: „Wenn er von der Jagd zurückkommt, kann es sein, dass da auch schonmal plötzlich drei Wildschweine im Kühlhaus hängen.“

Anja Heyes-Hengstler leitet dieses Restaurant, und wir können schon bei der Begrüßung bestätigen, was der Imagefilm über das große Team hier aussagt: Uns schlägt vom ersten Moment an eine entspannte Freundlichkeit entgegen, eine Herzlichkeit, die uns komplett glauben lässt, dass die Menschen hier gerne Gastgeber sind und wir uns echt willkommen fühlen dürfen. Klingt kitschig. Ist aber so.

Wir hatten uns bei der Online-Reservierung am Ruhetag per Extra-Mail noch einmal ausdrücklich einen Tisch draußen am Feldrand gewünscht, und tatsächlich ist das auch so angekommen: Mit einem bedauernden Lächeln wird unsere Idee bei der Begrüßung nochmal aufgegriffen und uns bedeutet, dass das mit dem Draußensitzen bei diesem Regen und 14,5 Grad vielleicht nicht die allerbeste Idee sei? Stimmt leider, antworten wir und dürfen und einen schönen Platz nah an der offenen Küche aussuchen, die ein absolutes „Signature“ dieses Restaurants ist: Hier soll man sehen, wie gekocht wird, wie angerichtet wird, hier darf man die total junge Küchen-Crew diskutieren hören und bestaunen, mit wieviel Akribie die kleinen und mittelgroßen Kunstwerke auf den Tellern platziert werden.

Los geht's!
Wir starten wie üblich mit dem Aperitif und lassen uns inspirieren: „Heimatgefühl“ (12,90 Euro), ein Cocktail unter anderem aus Fleuth's Gin, Zitronen- und Tillmann's Apfelsaft – der perfekte Frischekick. Meine Lebensgefährtin ordert den Ramazzotti Fresco Spritz mit Zitrone und Minze (8,50 Euro) – auch ein Volltreffer.

Nicht ganz so euphorisch stimmen uns die Mixed Pickles mit zwei Holz-Spießchen, die uns zu Brot und einer mediterranen Frischkäse-Creme serviert werden: Ob kleiner Blumenkohl, Möhrchen, eingelegte Radieschen, Zucchini oder Senfgurke – schmeckt irgendwie alles ziemlich ähnlich und vom Essig beherrscht, mögen sicher viele, wir jetzt nicht so, auch wenn es sehr schön angerichtet ist.

Auch die Auswahl an Vorspeisen haben wir bei unseren vorigen Besuchen etwas variantenreicher in Erinnerung. Lachs, Schafskäse und Wildbratwürsten – das war es diesmal. Aber unsere anfängliche Ratlosigkeit weicht dann doch wilder Entschlossenheit: einmal bitte „Gebackener Schafskäse mit Rosmarin und Nektarine, dazu Kartoffelbrot- Krustini und Auberginen-Vanille-Ragout“ (16,90 Euro) und einmal „Hausgebeizter Orangen-Basilikum- Lachs an Gurken-Carpaccio, Kartoffel-Plätzchen, Basilikum-Coulis und Kräuter-Crème-Fraîche“ (18,90 Euro).

Beide Gerichte sind optisch eine Pracht. Der Schafskäse thront auf dem Kartoffelbrot und wird umrahmt von knallgrünen Bohnen und reifen Beeren, Brom- und Heidel-, dazu finden wir auch noch eine geschmorte Tomate, Tupfer aus feinem Cassis-Gelée, Blüten, Blättchen – alles komplett wild, aber doch irgendwie auch harmonisch. Beim perfekt gebeizten Lachs ist es ähnlich, mit Mini-Kritikpunkten: Die Kartoffelplätzchen sind etwas latschig, der Safran-Chip im Kroepoek-Style schmeckt leicht künstlich. Aber irgendwie ist es auch cool zu sehen, dass die jungen Köche einfach mutig experimentieren und etwas Besonderes servieren wollen. Aber auch die ganz klassischen Dinge finden noch statt: Dünn geschnittene Gurkenscheiben heißen heute zwar nun mal „Carpaccio“, aber solange sie so aromatisch sind wie hier auf dem Land, ist das auch irgendwie egal.

Bei den Hauptgerichten müssen wir natürlich wissen, ob man dem Berderhof-Rumpsteak mit gegrillten lila Kartoffeln, breiten Bohnen, Pfefferjus und Kräuterbutter (36,50 Euro) tatsächlich anmerkt, dass es laut Speisekarte vier Wochen am Knochen gereift ist.

Die Antwort ist eindeutig, das Fleisch ist Champions League. Wirklich brillant, perfekt gegart (meine Partnerin nimmt ja leider immer „medium“, aber es ist immer noch top-zart und hervorragend im Geschmack) und auch die grünen Bohnen haben Biss und sind ein adäquater Begleitservice. Ein bisschen schade: Die Kartoffeln haben eher keinen Grill gesehen, sie sind ziemlich mehlig und geschmacksneutral, die tolle Sauce ist auf dem Teller kaum zu entdecken – doch auf Nachfrage wird uns sofort und mit freudigem Lächeln noch eine Extra-Sauciere gereicht.

Bei der „Geschmorten Kalbsschulter mit Portweinjus, karamellisiertem Spitzkohl, Süßkartoffelpüree und süß-saurer Bete“ (32,50 Euro) machen wir zuerst mal den Gabeltest. Den besteht das Gericht mit Bravour, das Fleisch lässt sich wunderbar ohne Messer zerkleinern, die Sauce ist auch hier ein Traum, das Püree hätte für mich allerdings auch ohne Kardamom oder ein anderes Weihnachtsgewürz auskommen können - aber die leichte Schärfe ist wunderbar. Schade: Die Fleischportion ist für mich eher ein Kinderteller, es sind vier gulasch-kleine Stücke. So ähnlich habe ich das beim letzten Mal hier auch erlebt, als ich Hirsch bestellt hatte. Irgendwie traue ich mich aber (wieder) nicht, nach einem Nachschlag zu fragen, bin mir aber fast sicher, dass man mir diesen mit ähnlicher Freude wie bei der Sauce sofort gereicht hätte.

Der Vorteil: Als Nicht-Nachspeisen-Fan bleibt so noch ausreichend Hunger auf die Käseplatte mit Feigensenf, Trauben und hausgebackenem Früchte-Nuss-Brot (16,50 Euro), wobei vor allem die Blauschimmel-Variante großen Spaß macht.

Meine Freundin wählt als süßen Abschluss die Joghurt-Crème-Brûlée mit Kakao-Crumble, Amarena-Kirsch-Rahmeis und gepfefferter Ananas (14,50 Euro) und zeigt sich ebenfalls begeistert. Wie den ganzen Abend über sind auch wieder viele Komponenten farblich und geschmacklich traumhaft aufeinander abgestimmt.

Fazit:
Bei einem relativ scharfen Haselnussbrand (5,50 Euro) und einem Ramazzotti auf Eis mit Zitrone (4,80 Euro) als Digestif sind wir uns total einig, dass dieses mittlerweile zu den Top-500 in Deutschland aufgestiegene Restaurant das halbe Stündchen, dass ja bekanntlich unser Maßstab für Test-Empfehlungen an die Gladbacher Gourmets sind, in jeder Hinsicht gerechtfertigt ist.

Ein echt toller Laden, eine Super-Immobilie ohne bäuerlichen Schnickschnack im Interieur - herrlich im Grünen gelegen, hier ist alles frisch, alles mit Liebe gekocht und aufwändig angerichtet. Dass die ein oder andere Komponente mal über das Ziel hinausschießt oder dahinter zurückbleibt und die Portionsgrößen bei der Sauce oder der Kalbsschulter im ersten Moment ein bisschen wehtun: all das gehört bei so einer experimentierfreudigen Crew dazu und lässt sich teilweise per Nachschlag ja auch sicher korrigieren.

Insgesamt:
Bei diesen Speisen muss man reisen... Nur nicht montags und dienstags, denn da ist das Restaurant Landwirtschaft im Berderhof geschlossen.

Restaurant Landwirtschaft
Klosterweg 32
47877 Willich
Tel.: +49 (0) 21 54 48 68 630
E-Mail: restaurant@berderhof.de
https://berderhof-landwirtschaft.de

Öffnungszeiten:
Mo. u. Di. Ruhetag
Mi. - Fr. ab 18 Uhr (Küche bis 21:30 Uhr)
Sa. ab 10 Uhr (Küche 18:00 bis 21:30 Uhr)
So. ab 10 Uhr (Küche 17:00 bis 20:30 Uhr)
Sa. u. So. von 10:00 - 14:00 Frühstücksbuffet