Christian Hornung
Woher kommt bloß immer wieder dieses (deutsche) Vorurteil, dass unsere niederländischen Nachbarn nicht kochen können? Okay, wer von uns regelmäßig im Urlaub an die Küste fährt und dann in Renesse, Zoutelande, Zandvoort oder Callantsoog immer nur den gleichen Fastfood-Tempeln eine Chance gibt, der ist daran natürlich auch selbst schuld – wobei natürlich auch Frikandel, Frietjes, Kipkorn, Saté und Bitterballen brillant schmecken können. Vielleicht nur nicht jeden Mittag und Abend. Dass diese Gerichte natürlich nur ein kleiner Teil der Oranje-Küche sind, haben wir auf unserer bisherigen „WestGenuss“-Tour des Hindenburger schon mehrfach herauszuarbeiten versucht. Und nach unseren jüngsten Inlands-Ausflügen nach Kempen (Restaurant Ercklentz), Grevenbroich (Dreierlei), Anrath (Ramshof), Schiefbahn (Berderhof) oder Helenabrunn (Hülser) ist nun mal wieder Roermond dran: mit einem absoluten Highlight.
Allein schon von außen: An diesem frostigen Januarabend mit schneebedecktem Boden leuchtet das Kasteeljte Hattem am Rande des Stadtparks so festlich-romantisch, als würde gleich das Königspaar vorgefahren. Um ein Schloss handelt es sich bei diesem Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert mit Fertigstellung im Jahr 1718 in der Tat: Es gilt als das kleinste und süßeste Schlösschen der Niederlande, so zumindest bewirbt es der Tourismusverband der Provinz Limburg. Gekocht wird hier französisch-mediterran, aber die heimische Küche wird keinesfalls verleugnet: Neben Hummer, Austern und Seeteufel stehen tatsächlich auch Bitterballen auf der Speisekarte - für nur 1,50 Euro pro Stück.
Wir werden, nachdem es hier in der Vorweihnachtszeit über Wochen nicht mit einer Tischreservierung geklappt hat (alles ausgebucht), sehr freundlich empfangen und zum Tisch begleitet. Dann dauert es ein wenig, bis wir nach Getränken gefragt werden und die Speisekarte kommt, aber wir haben hier genug zu beobachten und viel Zeit mitgebracht. Die Tische sind mit einem roten Kerzen-Glas eher dezent geschmückt, die Theke ist mit allen bekannten Getränkevariationen ausgestattet, im Aquarium fristet ein Single-Goldfisch sein hoffentlich nicht unglückliches Dasein. Den Blick ins Grüne kennen wir noch aus dem Sommer, als drei weiße Pfauen durch den Garten stolzierten, auf die Bäume flatterten und durchaus lautstark miteinander kommunizierten – wie bei uns im Schloss Rheydt, dort aber nicht im Albino-Gewand.
Wir starten mit einem Kir-Royal für vergleichsweise freundliche 7,50 Euro, dazu bekommen wir einen Brotkorb mit Butter. Hervorragendes Olivenöl im Kännchen und Meersalz im Töpfchen werden unaufgefordert mitgeliefert. Bei den Vorspeisen finden wir ein so stimmiges Konzept vor, dass wir uns fragen, warum das nicht in viel mehr Restaurants angeboten wird: Es gibt zwar jede Menge bekannte Gerichte wie Steaktatar oder die Hummerbisque mit großen Gambas, Krebsfleisch, holländischen Garnelen und Jakobsmuscheln (24,50 Euro), für die sich meine Partnerin Astrid entscheidet. Es gibt auch ein Modul-System mit lauter Kleinigkeiten, die mich begeistern: Eine Felsenauster mit Himbeerdressing (4,50 Euro), eine gratinierte Auster „Rockefeller“ mit Sauce Hollandaise und geschmortem Spinat (6 Euro), zwei Bitterballen (je 1,50 Euro) und zwei gebratene Gambas (je 2,75 Euro). All das wird ohne großen Schnickschnack serviert, aber man merkt doch jedem einzelnen Gericht an, dass Mühe und Sorgfalt investiert wurden. Auch die Hummersuppe hat einen intensiven tiefen Geschmack und mundet zum Glück nicht, wie wir das schon öfter erlebt haben, nach Sahne – sondern tatsächlich nach Hummer.
Vielleicht nicht ganz königs-like tupfen wir den Teller noch mit dem Brot trocken, und nachdem wir das verspeist haben, kommt wie selbstverständlich nochmal ein zweites Körbchen. Hungrig kann man dieses Restaurant also schonmal auf keinen Fall verlassen, dafür sorgen aber auch unsere Hauptgerichte. Meine Freundin nimmt das „Beef tenderloin“ (34,50 Euro), ein mit Wacholderbeeren gebratenes Rinderfilet, Süßkartoffel, einem gebratenem Rinderragoutwürfel und Winterbockbiersauce, das eigentlich als Menügang vorgesehen ist, aber natürlich auch als Hauptgericht serviert wird. Das Fleisch ist noch wunderbar rosarot und sehr zart, die Sauce ist lange eingekocht und extrem aromatisch, Möhrchen, Zwiebel, Birne, Kartoffelplätzchen – eine absolut runde Sache, die auch mit viel Liebe angerichtet wurde. Von meinen „Tournedos Rossini“ (38,50 Euro) kann ich exakt das gleiche behaupten. Es hätte etwas mehr als der Sterneküchen-Strich von Kartoffelpürée sein dürfen und natürlich auch mehr von dieser grandiosen Madeira-Sauce – aber nur eine Minute nach meiner Nachbestellung steht ein Töpfchen parat, das das butterweiche Steak und die gebratene Gänsestopfleber nochmal aufwertet. Zu den Beilagen, die auch das Beef tenderloin garnieren, bekam ich noch Fenchel und ein halbes (!) Rosenkohlröschen serviert, das kann man als verspielt bezeichnen oder als Versuch, auch irgendetwas Grünes auf den Teller zu zaubern. Aber letztlich harmoniert hier alles irgendwie miteinander, auch unsere Rotweine sind ganz großes Kino. Der zwölf Monate im Holzfass gereifte Rioja Crianza aus Garnacha, Graciano und Tempranillo (7,95 Euro) hat ein durchdringendes tiefes Beerenaroma, aber auch der Pinot Noir „Maison Barboulot“ aus der Languedoc (7,95 Euro) wird sofort abfotografiert, um ihn zu Hause mal nachzubestellen. Dessert? Heel graag, sehr gerne! Wir teilen wie immer: Astrid bestellt das „Pistachio“ (11,50 Euro), ein wieder sehr dekorativ angerichtetes Ensemble aus einer Schnitte weißer Schokolade mit Pistazienmousse, dazu Pistazienbiskuit, Amarena-Kirschen und Pistazieneis. Bei mir wird es mal wieder die Kombi aus Kaffee, Eis und Alkohol: „Affogato“ mit Tia Maria und Vanilleeiskugel (7,50 Euro), ein herrlicher Abschluss eines wunderbaren Abends.
Fazit: Was uns auffällt, nachdem wir die drei Gänge glücklich bewältigt haben: Die Gäste bleiben hier irgendwie länger. Das Kasteeltje Hattem ist ein Ort für Genuss, aber auch für Gemütlichkeit, noch lange nach den Menüs gehen hier die Gespräche weiter, immer mal wieder stellen sich auch die Kellnerinnen und Kellner dazu und schnacken eine Runde mit. Es ist nicht nur das kleinste Schloss der Niederlande, sondern vielleicht auch das familiärste. Die halbe Stunde Fahrt aus Mönchengladbach hat sich mal wieder komplett gelohnt, wir fahren glücklich zurück über die Grenze und kämpfen zu Hause bei Freunden und Verwandten weiter gegen die Vorurteile bezüglich der niederländischen Küchenkultur.
Kasteeltje Hattem
Maastrichterweg 25
NL-6041 NZ Roermond
Tel.: +31 . (0) 475 31 92 22
E-Mail: info@kasteeltjehattem.com
https://www.kasteeltjehattem.com
Öffnungszeiten:
So. u. Mo.: geschlossen
Di. - Sa.: Mittag (Lunch) ab 12 Uhr), Abend (Diner) ab 18:00 Uhr