Auch 2023 bewegt sich das nunmehr 19. Niederrhein Musikfestival in einem fesselnden Spannungsfeld zwischen Improvisation und Komposition, Schaffensimpuls und kreativer Formgebung, das von Anfang an zu den herausragenden Kennzeichen des mittlerweile schon traditionellen Festspiels gehörte. Dabei überschreiten die musikalischen Darbietungen einmal mehr die Grenzen der Gattungen und Kunstdisziplinen, der Kulturen, Sprachen und Tradition. Die Grundidee ist demnach stets dieselbe, mit ihrer konkreten Realisation jedoch überrascht die künstlerische Leiterin Anette Maiburg alljährlich aufs Neue durch bislang ungehörte und ungesehene Gesamtkunstwerke aus Musik, Tanz und Literatur.
Unter anderem wird es wieder zwei Freiluft-Veranstaltungen auf Schloss Dyck geben: Mit »Zauber der Alhambra« begibt sich das Festivalensemble auf eine iberische Klangreise. Sie führt von Diego Ortiz, dem Meister der Renaissance, bis zu der speziellen Operettenform der Zarzuela, von den Vätern der spanischen Klassik bis zu Werken, die ohne den Mythos Spanien nie entstanden wären. Durch die Verbindung der originellen Arrangements und ihrer tänzerischen Ausdeutung zu Texten aus Washington Irvings Alhambra (1829) lösen sich die Grenzen zwischen den Disziplinen auf .
Mit »Passione italiana – Italien in Poesie, Klang und Tanz« geht es dann in das Land, »wo die Zitronen blüh'n« – kurzum zur Wiege der Oper, der Canzonen und Tarantelle. Das Traumziel von Musikern, Malern und Literaten, die sich von den kolossalen Ruinen der Antike, von den einzigartigen Lichtverhältnissen und von einer Sprache inspirieren ließen, die man nicht verstehen muss, um sie zu verstehen. Italienische Erinnerungen von Goethe bis Grillparzer und unvergessliche Weisen von Rudi Schuricke bis Bryan Adams treffen auf Meisterwerke der italienischen Literatur- und Musikgeschichte. Das Ensemble des Niederrhein Musikfestivals, Friederike von Krosigk als Rezitatorin und der Tänzer Kauan Soares veranstalten ein Fest! Die Choreographin ist Neshama Nashman von der Deutschen Oper am Rhein.
Ein gern gesehener Gast beim Niederrhein Musikfestival ist das Ensemble UWAGA!, das am 2. September in diesem Jahr mit »Bach to the roots« den Meister des Barock rocken lässt. Den vier Wanderern zwischen den Musikwelten liegt der experimentelle Umgang mit Gattungen und Stilen im Blut. So riskieren sie kreativ-spielerische, freche, zugleich aber durchaus respektvolle Auseinandersetzungen mit den eigenen musikalischen Wurzeln. Dass die Truppe aus diesen Auseinandersetzungen stets sieg- und erfolgreich hervorgeht, können wir jetzt im herrlichen Bauerngarten des Tuppenhofes Kaarst mit der Hommage an eine der zentralen Komponistenpersönlichkeiten Europas erleben.
Lebensfreude ist einer der vornehmsten Gründe des Musizierens. Das Gitarrenduo »TwoFour Twelve«, bestehend aus Aleksandar Vidojevic und Martin Zimny, hat sich dieses Motiv auf die Fahnen geschrieben und holt ein Höchstmaß an joie de vivre aus den zweimal sechs Saiten ihrer Instrumente heraus: Klassische Kompositionen aus den verschiedenen Regionen Spaniens, lateinamerikanische Klänge und Rhythmen und die Hits der Beatles stehen neben eigenen Kreationen und den Popsongs der britischen Formation Coldplay. Das alles geschieht im Zwiegespräch mit der heiter-unbeschwerten Architektur der Kirche Wickrathberg und dem Motto: ¡Viva la Vida! – Es lebe das Leben, es lebe die Schönheit, es lebe die Musik!
Am 24. September lädt Miroslav Nisić zur Erkundung eines populären aber unterschätzten Instrumentes ein: des Akkordeons, das in der osteuropäischen Folklore eine wichtige Rolle spielt und praktisch als Alleskönner behandelt wird. Das historische Ambiente der Stammenmühle bildet die Kulisse des historisch-geographischen Ausflugs von Domenico Scarlattis Sonaten zu Albéniz’ »Iberiana«, von Mozart zu osteuropäischen Weisen, von Astor Piazzollas »Tango Nuevo« bis hin zu George Enescus Liebeserklärung an die Ciocârlia – die ornithologische Senkrechtstarterin, die wir als stimmgewaltige Lerche kennen.
Der Abschlussabend des Niederrhein Musikfestivals führt am 22. Oktober in die immer wieder beeindruckenden Räume der Langen Foundation: Unter dem Motto »Ein Siegel aus Rubin« hat Anette Maiburg einen jüdische Kulturdialog aus Musik und Wort geschaffen.
Zusammen mit der in Wiesbaden lebenden Sängerin Shai Terry spürt das Ensemble des Niederrhein Musikfestivals den engen Beziehungen jüdischer und nichtjüdischer Kultur nach, die weltweit zu entdecken sind. In maßgeschneiderten Arrangements erklingt der Facettenreichtum jüdischer Traditionen, die zum reichen musikalischen Welterbe beigetragen haben. Die in Russland geborene Schriftstellerin Lena Gorelik aus München trägt dazu Texte vor, die um die jüdische Verwurzelung und Identität in Deutschland sowie die Bedeutung der Sprache für die individuelle Selbstfindung kreisen.
Fortgesetzt wird in diesem Jahr auch der digitale Konzertsaal des Niederrhein Musikfestivals, den wir im letzten Jahr vermöge einer Förderung der KulturGemeinschaften und des Bankhauses Metzler realisieren konnten.
In dieser »virtuellen Philharmonie« gibt es Videoclips und Festivalfilme, Podcasts mit und über die Mitwirkenden, Fotoimpressionen der Konzerte und Hintergrundinformationen, kurzum alles, womit man sich inspirieren oder unterhalten lassen, eine kurze Auszeit vom Alltag nehmen oder eine musikalische Reise antreten kann. Natürlich wird auch 2023 nicht auf die beliebten Workshops und Werkstattkonzerte verzichtet, bei denen Schulklassen in ihrer gewohnten Umgebung selbst improvisieren dürfen und die Musik tänzerisch mitgestalten können.
Weitere Informationen:
www.niederrhein-musikfestival.de