Marcus Bosch dirigiert Marcus Bosch dirigiert
Foto: © Franca Wrage
Marcus Bosch
01.01.2023
Musik

Marcus Bosch dirigiert die Niederrheinischen Sinfoniker

München, Rostock, Palma, Niederrhein

Redaktion: Marion Freier

Marcus Bosch, international renommierter Dirigent und Professor für Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik und Theater München übernimmt im Januar und Februar 2023 für vier Aufführungen des 4. Sinfoniekonzertes in Mönchengladbach und Krefeld, die Leitung der Niederrheinischen Sinfoniker. Bis auf ein paar private Verbindungen ist dies sein erster fachlicher Kontakt mit diesem Orchester. Wir wollten mehr über den Musiker, die Person und seine Arbeit wissen und nutzten die Gelegenheit für ein Interview.

HINDENBURGER: Erst einmal vielen lieben Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Lassen Sie uns zunächst auf Ihre Berufswahl kommen. Wie hatte es sich ergeben, dass Sie sich für einen musikalischen Beruf entschieden haben? War das evtl. schon durch Ihre Familie geprägt?

Marcus Bosch: Wenn man zurückblickt, sieht ja vieles ganz logisch aus. In meiner Familie haben alle Musik gemacht, aber auf Amateurniveau - in der Kirche mit großer Leidenschaft im Sinne „soli deo gloria“. Mein Vater und meine Mutter haben den Kirchenchor in unserem Dorf dirigiert, den ich dann mit 14 Jahren übernommen habe. Wenn man nach 39 Jahren und mit einer Dirigierprofessur darauf zurückblickt, ist die Entwicklung nicht ganz unlogisch (lacht). Aber es hätte auch in eine völlig andere Richtung gehen können. Meine Eltern haben viel dafür getan, meine Ausbildung zu bezahlen, haben aber auch einiges investiert, damit ich nicht Musiker werde, sondern etwas „Richtiges“ lerne.

HINDENBURGER: Was hätten Sie denn ursprünglich werden sollen?

Marcus Bosch: Das war nicht wirklich vorgegeben. Ich persönlich hatte auch Interesse, Architektur zu studieren oder Agrarwissenschaften. Das Schöne ist, dass ich jetzt einen Weinberg mein Eigen nenne und schon zwei Häuser umgebaut habe. Also bin ich doch allen drei Leidenschaften nachgegangen - Musik, Bauen und Landwirtschaft.

HINDENBURGER: Das ist doch sehr schön! Es ist dann aber doch zunächst musikalisch weitergegangen. In Ihrer Vita habe ich gelesen, dass Sie als Kapellmeister begonnen haben. Wann war das?

Marcus Bosch: Begonnen habe ich als Repetitor in Osnabrück im Jahr 1994. Von 1996 bis 2000 folgte die Kapellmeisterstelle in Wiesbaden und parallel dazu von 1997 bis 2001 in Halle. Von 2000 bis 2002 war ich in Saarbrücken Kapellmeister, parallel dazu ab 1999 Chefdirigent in der Schweiz bei der Kammerphilharmonie Graubünden. Und dann kam 2002 die erste GMD-Position in Aachen.

HINDENBURGER: Ihr Opernrepertoire umfasst etwas über 100 Werke. Wie viele davon kennen Sie mehr oder weniger in- und auswendig?

Marcus Bosch: (lacht) Das ist eine böse Frage! (lacht wieder). Ich kenne die Stücke wieder sehr gut, sobald ich die Noten in der Hand habe. Ich bin ganz schlecht darin, die Geschichten der Opern sauber zu erzählen, aber ich bin ein sehr schneller Leser, sowohl im „wieder Lesen“ als auch im neu Lernen. Nur so ist so viel Repertoire zu schaffen. Ich habe auch ein bisschen fotografische Fähigkeiten, so dass ich mich auch nach Jahren erinnere, wo auf der Seite dieses oder jenes passiert ist bzw. wo die großen Schwierigkeiten liegen. Dieses Abspeichern funktioniert sehr gut und daher würde ich auch vermuten, dass ich mich bei 80 Werken innerhalb von einem Tag wieder sehr gut auskenne. Das ist zwar sehr ins Blaue gesprochen, aber zum Beispiel habe ich gerade den „Ring ohne Worte“ dirigiert und da war sofort alles wieder präsent, auch wenn der „Ring“ jetzt 6 Jahre lang ‚lag‘. Aber da ist so schnell alles wieder da, man spürt die Musik im Körper, das ist wie ‚nach Hause kommen‘ - sowohl im Stück wie beim Komponisten und seiner Stilistik.

HINDENBURGER: Von Ihnen gibt es ja auch unterschiedliche Aufnahmen verschiedener Komponisten. Wie werden diese Werke für eine Aufnahme ausgewählt? Haben Sie hierbei eine Auswahlmöglichkeit oder ein Mitspracherecht?

Marcus Bosch: Ja. Diese Aufnahmen sind eigentlich alle auf meine Initiative hin entstanden. Der erste große Aufnahmeerfolg war die Bruckner-Reihe in Aachen. Ich kannte das Aufnahmeteam und die Chefs des Labels von anderen gemeinsamen Aufnahmen. Dann fing ich in Aachen an. Dort feierte das Orchester im Jahr 2003 sein 175. Jubiläum - das zweitälteste deutsche Orchester in bürgerlicher Verantwortung nach Leipzig! Die 8. Sinfonie von Bruckner sollte der passende Rahmen sein. Dann haben wir das aufgenommen, was eigentlich als einmalige Aktion gedacht war. Die Schallplattenfirma fand das Ergebnis allerdings so überzeugend, dass sie mich überredeten, die Aufnahmen fortzusetzen. Und so kam diese Bruckner-Reihe zustande, indem wir jeden Pfingstmontag eine Bruckner-Sinfonie aufgenommen haben. Daraus sind dann mehr Projekte in Aachen geworden, mit mehreren Aufnahmen im Jahr, u. a. Brahms Sinfonien, Chorwerke etc. In Nürnberg war die Überlegung - mit der Inspiration von Prag als Partnerstadt - alle Sinfonie und sinfonische Dichtungen von Dvorak einzuspielen, auch weil es zum damaligen Zeitpunkt keinen kompletten Dvorak-Zyklus mit einem Orchester auf dem Markt gab. Diese Zyklen sind unheimlich identitätsstiftend und eine wunderbare Orchesterschule, denn die Orchester finden sich: Wie spiele ich Dvorak, wie spiele ich Bruckner? In Aachen habe ich dann noch einen Brahms-Zyklus gemacht und in Heidenheim einen SchumannZyklus. Es ist immer wieder schön, sich so einen Zyklus vorzunehmen, sich damit intensiver zu beschäftigen und mit dem Komponisten mitzuwachsen oder zumindest einen Teil des Weges besser zu verstehen, als wenn man nur einmal in so etwas hineinschaut.

HINDENBURGER: Sie sind ja auch bekannt für die Entwicklung neuer Konzert- und Veranstaltungsformate. Können Sie uns hierüber noch ein wenig erzählen?

Marcus Bosch: In Aachen ist z. B zum großen Teil die Chorbiennale entstanden. Oder auch „Pferd und Sinfonie“ beim CHIO, dem großen Reitturnier, ist ein Format, das ich entwickelt habe. Auch die Kurpark-Classics in Aachen habe ich ins Leben gerufen. In Nürnberg gibt es ein neues Format im Rathaussaal und die Kammerkonzerte im Germanischen Museum sowie die „Klassiker im Club“ in Rostock. Außerdem konnte ich sowohl in Rostock als auch in Aachen ein Stadtfestival mit allen Musikmachenden mit Brahms initiieren. So sind in jeder Stadt, in der ich tätig war und bin, Formate entstanden, die für die jeweilige Stadt neu entwickelt wurden. Auch bei den Opernfestspielen in Heidenheim haben wir viele neue Formate kreiert. Das größte Format war aber sicher in Nürnberg das Klassik Open Air, das in meiner Zeit zu einer Veranstaltung mit 100.000 Besucher auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wuchs. Und morgens noch ein Familienkonzert mit 15.000 Besuchern. Das war wie Woodstock in Klassik. Das größte Klassik Open Air Europas zu dirigieren und zu moderieren, auch fürs Fernsehen, ist natürlich unglaublich. Mit dem Deutschlandradio und teilweise dem NDR kooperieren wir für die junge VerdiReihe der Opernfestspiele und für einige Konzerte mit der Norddeutschen Philharmonie und dem Festspielorchester der Cappella Aquileia.

HINDENBURGER: Als gefragter Dirigent sind Sie ja in der ganzen Welt unterwegs. Wo ist denn momentan Ihre Basis oder Ihr Hauptarbeitsplatz?

Marcus Bosch: Natürlich München, wo ich meine Professur habe, aber wir sind mit den Studenten auch viel unterwegs bei anderen Orchestern. Mein Unterricht am Klavier findet in München statt, aber ich bin mit den Studenten zum Beispiel allein 12 Tage pro Jahr in Rostock bei der Norddeutschen Philharmonie und regelmäßig ein paar Tage in Palma beim Sinfonieorchester der Balearen. Wir sind mit der Klasse auch sehr viel in Deutschland unterwegs. Es hat sich doch sehr viel geändert im Dirigierunterricht. Wenn ich an mein eigenes Studium zurückdenke, da stand ich vielleicht 2 oder 3 Tage vor einem professionellen Orchester. Unsere Klasse hat das jetzt 45 Tage im Jahr, das ist eine völlig andere Ausbildungssituation.

HINDENBURGER: Und wie kam bei dieser ganzen umfangreichen und sehr vielfältigen Tätigkeit der Kontakt zum Theater Krefeld Mönchengladbach zustande?

Marcus Bosch: Mihkel Kütson und ich sind beide Gründer der Deutschen Generalmusikdirektoren-Konferenz und sind beide jetzt auch im Vorstand. Daher kennen und schätzen wir uns und sind so typische GMDs, die hinter der Arbeit am Haus stehen und hinter der Entwicklung von Orchestern, die präsent sind vor Ort, ohne dass eine internationale Sichtbarkeit zu kurz kommt Wir verstehen uns und ich schätze Mihkel Kütson sehr in dem, was er macht und was er in Mönchengladbach aufgebaut hat.

HINDENBURGER: Ende Januar und Anfang Februar haben Sie für vier Konzerte die Leitung über die Niederrheinischen Sinfoniker im Theater und in der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach sowie im Seidenweberhaus Krefeld. Wie oft haben Sie schon mit diesem Orchester zusammengearbeitet?

Marcus Bosch: Das ist in der Tat das erste Mal. Es gibt ja wirklich viele Orchester in Deutschland, die ich schon dirigiert habe, aber bei den Niederrheinischen Sinfonikern ist es eine Premiere und ich bin natürlich sehr gespannt!

HINDENBURGER: Warum wurden ausgerechnet die Werke von Rachmaninow und Prokofjew für Mönchengladbach und Krefeld ausgewählt?

Marcus Bosch: Mihkel hatte bereits den Pianisten Konstantin Emelyanov für das Rachmaninow-Klavierkonzert engagiert und da wollte ich im russischen Bereich bleiben. Ich habe mich in Rostock sehr um Prokofjews Musik gekümmert. Prokofjew taucht leider sehr selten auf mit seinen Sinfonien und ich bin sehr froh, diese Stücke öfter machen zu können und mich noch tiefer damit zu befassen.

HINDENBURGER: Mit den Niederrheinischen Sinfonikern haben Sie ja jetzt eine Premiere. Kennen Sie noch andere Mitarbeiter des Teams vom Theater in Mönchengladbach?

Marcus Bosch: Ja, ich kenne Operndirektor Andreas Wendholz sehr lange, seit Osnabrück. Einer der ehemaligen Kapellmeister, Avishay Shalom, war ein Student von mir. Aber in der Tat habe ich relativ wenig bewusste Verbindungen zu dem Orchester. Es wird also in vielen Dingen ein Debut.

HINDENBURGER: Gibt es außer der Premiere mit den Niederrheinischen Sinfonikern noch irgendetwas anderes, auf das Sie sich im Rahmen Ihres Gastspiels in Mönchengladbach freuen?

Marcus Bosch: Drei meiner Kinder leben in Aachen und ich freue mich, in ihrer Nähe zu arbeiten. Vielleicht können sie auch zu den Konzerten kommen. Und durch meine 10-jährige Tätigkeit in Aachen ist der Niederrhein schon so etwas wie eine alte Heimat. Außerdem hoffe ich, dass Mihkel da ist und ein bisschen Zeit für mich hat. Er hat einmal zu einer GMD-Konferenz nach Mönchengladbach eingeladen und wir haben uns dort sehr wohl gefühlt. Ich bin sehr gespannt auf das Orchester und auch auf das Publikum, das ja in jeder Stadt anders und besonders ist. Und ich freue mich sehr auf die Konzerte.

HINDENBURGER: Was sollten die Besucher Ihrer Konzerte mit den Niederrheinischen Sinfonikern vielleicht noch wissen, um die Abende noch besser genießen und/oder verstehen zu können?

Marcus Bosch: Eine schwierige Frage... Ich glaube, es ist immer gut, möglichst viel Neugier und Offenheit mitzubringen. Das Rachmaninow-Klavierkonzert kennen wahrscheinlich die meisten, die Prokofjew-Sinfonie noch nicht. Und wenn man sich vorher mit dem Kosmopoliten Prokofjew beschäftigt, versteht man vielleicht auch noch mehr von seiner Musik, die sich im laufe der Zeit ja auch sehr gewandelt hat. ,,Romeo und Julia“ kennt man, vieles andere eben nicht. Man sollte einfach seine Entdeckerfreude mitbringen.

HINDENBURGER: Vielen Dank noch einmal für Ihre Zeit und bis bald in Mönchengladbach!


4. Sinfoniekonzert der Niederrheinischen Sinfoniker 2022/23

Sergej Rachmaninow Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30
Sergej Prokofjew Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100

Konstantin Emelyanov - Klavier
Marcus Bosch - Dirigent
Niederrheinische Sinfoniker

Dienstag, 31. Januar und Freitag, 3. Februar 2023, 20 Uhr, Seidenweberhaus Krefeld
Mittwoch, 1. Februar 2023, 20 Uhr, Konzertsaal Theater Mönchengladbach
Donnerstag, 2. Februar 2023, 20 Uhr, Kaiser-Friedrich-Halle Mönchengladbach

Konzerteinführung: Dienstag und Donnerstag, 19.15 Uhr
Debut-Konzert von Schülern der jeweiligen Städtischen Musikschule: Mittwoch und Freitag, 19 Uhr