26.09.2023
Stadtleben

Das Innenstadtdrama. Wirklich ausweglos?

Ein Kommentar von Herausgeber Marc Thiele

Redaktion: Marc Thiele

Heute war ich in der Galeria, so wie so oft in den letzten Jahren, denn dies war eines der wenigen Geschäfte, in denen ich immer das gefunden habe, was ich gerade brauchte. Nun gut, bis auf Elektronik und Lebensmittel. Eine gute Auswahl an Herrenbekleidung (ich bin Ü50), mit guter Beratung, auch die Küchenabteilung war gut aufgestellt. Portemonnaies, Parfum, Koffer und eine gut sortierte Spielzeugabteilung. Was will man mehr? Ich kenne das Untergeschoss noch als Feinkost- und Lebensmittelabteilung und für mich begann der Abstieg des Kaufhofs irgendwie mit deren Schließung. Jetzt bleibt nur noch Wehmut und das Wissen, dass es ab Ende Januar noch einen Grabstein mehr für die Mönchengladbacher Innenstadt geben wird.

Natürlich ist es gut, dass nun vielleicht SINN in die Lücke springt, aber das verschiebt doch nur das Problem von der unteren auf die obere Hindenburgstraße, wo dann erst recht ein riesiger Betonklotz an prominenter Stelle leer stehen wird. Mal sehen, ob wir damit nicht ein zweites Haus Westland an ebenso markanter Innenstadtlage bekommen. Und was passiert dann langfristig mit P&C? Gerade noch musste Mönchengladbach wegen der Unternehmensinsolvenz um den Fortbestand des Hauses zittern und nun verliert die Oberstadt mit dem Umzug von SINN einen der letzten verbliebenen Frequenzbringer? Das wird nicht gut gehen und ich sage voraus, dass wir dann bald zwei riesige Leerstände dort oben haben werden.  Aber auch das wäre sogar eine Chance, vorausgesetzt man könnte beide Gebäude abreißen, denn eine Nachnutzung in diesen Größenordnungen ist in diesen Zeiten utopisch. Zusammen mit den schon lange geplanten Abrissen auf der linken Seite der oberen Hindenburgstraße (Hotel Oberstadt), hin zum Museum, würden sich so ganz neue Möglichkeiten zu einer Umgestaltung zwischen Alter Markt und Wallstraße bieten.

Trotzdem fehlt es für den Rest der Innenstadt an Konzepten die langfristig funktionieren. Nur Gastronomie, Kultur und viel Grün alleine werden es nicht richten. Ohne Handel geht es nicht, aber der muss ein Mindestmaß an Qualität haben, sonst kommen wir als Kunden nicht zurück. Es braucht nicht noch mehr asiatische Nagelstudios, nicht noch weitere Anbieter orientalischer Fleischspieße und keine zusätzlichen Fast-Fashion-Low-Quality-Anbieter, auch wenn das vielleicht erst einmal noch mehr Leerstände bedeutet. Es braucht keine Immobilienbesitzer, die immer noch utopische Mieten fordern oder Leerstand als Abschreibungsobjekt pflegen. Es braucht Investoren und mutige Gründer, die als inhabergeführte, lokal verwurzelte und engagierte Unternehmer die Innenstadt wiederbeleben, bereichern und für uns Kunden wieder interessant und besuchenswert machen.

Wenn das alles bedeutet, dass die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie Verwaltung radikal umdenken muss um die erforderlichen Rahmenbedingungen für einen Umschwung zu schaffen, dann sollte das passieren, denn es geht um unser aller unmittelbares Lebensumfeld und unsere Lebensqualität und die besteht nicht nur aus Klimaschutz und Moblitätswende, in deren Namen ja auch  bisher  unmöglich scheinendes möglich gemacht wird.

Gibt es dazu Ideen? Natürlich gibt es die. Vielleicht auf den ersten Blick verrückte, utopische und manchmal auch ungemütliche, sicher auch ein paar total unrealistische, aber viele davon wurden oder werden in anderen deutschen oder europäischen Städten bereits umgesetzt, getestet oder stehen zur Diskussion. Außerdem gehört zur Lösungsfindung immer erst einmal ein Brainstorming und das am besten ohne Denkverbote.

Hier ein paar Ideen und Vorschläge - vielleicht als mein Beitrag zu einem allgemeinen Brainstorming Innenstadt?

1.) Der Onlinehandels

1a.) Ein Hauptargument / Wettbewerbsvorteil des Onlinehandels ist meiner Meinung nach die Möglichkeit für die Kunden, bestellte Ware bei Nichtgefallen größtenteils immer noch kostenlos zurück zu senden. Dies könnte dadurch unterbunden werden, dass Rücksendungen generell per Gesetz kostenpflichtig werden. Davon ausgenommen natürlich berechtigte Reklamationen.

1b.) Ein weiterer Wettbewerbsvorteil ist die Lieferung bis an die Haustüre. Bei Möbeln und Großgerät natürlich selbstverständlich, bei Bekleidung und sonstigen Waren in Standardpaketgrößen sollte es ggf. andere Herangehensweisen geben. Diese Masse an Hauslieferungen trägt auch zu einem überbordenden Lieferverkehr in den Innenstädten stark bei, was wiederum gegen alle Versuche steht, die Innenstädte so autofrei wie möglich zu machen. Vieleicht aber sind die Mobilitätsaktivisten, die den Autofahrern den Krieg erklärt haben, ebenfalls zu faul ihre online bestellten Pakete selber irgendwo abzuholen. Andere Städte, andere Pläne. Es gibt in europäischen Großstädten Planungen die vorsehen, dass in ca. 5-10 Jahren jegliche Logistik an große Logistikhubs an der Stadtperipherie geliefert wird - ausgenommen eben Möbel, Großgerät und verderbliche Waren für Gewerbe und Gastronomie. Ergänzend werden in allen Stadtteilen kleinere Logistikzentren eröffnet (ggf. auch mit Paketstationen möglich), an die mittels Elektroautos oder Lastenrädern aus den großen Logistikhubs die Pakete unterverteilt werden. Hier müssen sich die Besteller die Waren dann selber abholen. Damit nimmt man dem Onlinehandel den Bequemlichkeitsvorteil und entlastet die Innenstädte massiv von Lieferverkehr.

2.) Immobilienbesitzer und Vermieter

Viele Besitzer / Vermieter innerstädtischer Immobilien haben ihren Unternehmenssitz nicht am Standort der Immobilie. Darunter viele Investment- und Immobilienfirmen. Es fehlt der Bezug zum Standort und der Blick für die dort herrschenden Realitäten. Immobilien sind meistens nur Abschreibungs- und Renditeobjekte. Leerstände sind akzeptabel. Aber auch lokal ansässige Vermieter sind oft nicht bereit, die Mieten auf ein für den Standort und die dort herrschende Situation realistisches Maß zu senken und akzeptieren ebenfalls lieber Leerstand. Andere wiederum kümmern sich nicht ausreichend um ihre Immobilien, die dann mit der Zeit vergammeln und verrotten.

Die Stadt müsste Möglichkeiten haben - wenn nötig per Änderung oder Neuschaffung von Gesetzen, hier regulierend einzugreifen. Baurechtlich mit Sanktionen oder durch Anhebung der Grundsteuer bei nicht-marktgerechtem Verhalten der Immobilienbesitzer (unrealistische Mietforderungen mit daraus resultierende, Leerstand über einen Zeitraum X etc.) etc. Falls es nicht anders geht, müssten die Städte die Möglichkeit haben Leerstandsimmobilien zu kaufen, wenn nötig durch Landes- oder Bundesmittel, die hierfür geschaffen werden. Die von der Stadt gekauften Immobilien müssten dann zu vergünstigten Konditionen Gründern und Investitionswilligen zur Verfügung gestellt werden oder sie werden - je nach Lage - in sozialen Wohnraum umgewandelt.

3.) Stadt und Verwaltung

Um die Innenstädte für Gründer und Investoren wieder attraktiver zu machen sollte die Städte Neuansiedlungen finanziell fördern. Entweder durch deutliche Senkungen der Gewerbesteuer für einen festzulegenden Zeitraum und / oder durch Förderung der Gewerberaummiete und andere Unterstützungsprogramme. Hat die Stadt das Geld nicht, müssen das Land oder der Bund hierfür ausreichende Fördertöpfe schaffen. Aber auch hier müssen die Ansiedlungsquoten beachtet werden.

Um die Attraktivität einer Innenstadt zu heben, bedarf es eines Mindestmaßes an qualitativ wertigen Angeboten und einer Einschränkung oder Quotierung der Ansiedlung von qualitativ minderwertigen Angeboten. Bei Spielhallen hat dies ja auch funktioniert und in bestimmten Gewerbe- / Gewerbemischgebieten gib es auch bereits Quoten. Eine Innenstadt verträgt nur eine gewisse, nicht zu große Menge an Nagelstudios, Handyshops, Low-Quality-Fast-Fashion-Shops und Anbieter von orientalischen Fleischdrehspießen, bevor das Qualitätsniveau auf ein Maß absinkt, das von den Konsumenten nicht mehr als wertig akzeptiert wird.

Auch die innerstädtische Mobilität ist ein wichtiger Faktor. Alle Verkehrsteilnehmer müssen gleichberechtigt behandelt werden. Der überwiegende Teil der Bevölkerung nutzt Autos, im Gegensatz zur aktuellen politischen Meinung. Trotzdem muss die Rad- und Fußgängerinfrastruktur deutlich verbessert werden, z.B. durch einen Radweg auf der Bismarckstraße. Alle Mobilitätsgruppen können gleichberechtigt am Verkehr teilnehmen. Die aktuelle, politisch geförderte Spaltung ist unsinnig und nicht zielführend.

4.) Der lokale Handel

Ein schwieriges Thema mit vielen Baustellen. Hier wurden in den letzten Jahren viele Dinge verschlafen, wie das Onlinegeschäft. Vielleicht durch die vorherrschende Frustration gibt es auch kaum gemeinsame Aktionen und generell Kooperationen, mit dem Ziel etwas in den Innenstädten zu verbessern und hier attraktivere Angebote zu schaffen. Zwar gibt es sogenannte Citymanagements, aber deren Sinnhaftigkeit entzieht sich mir seit Jahren, denn sie machen nicht mehr als das Minimum. Meist scheiternde Versuche verkaufsoffene Sonntage zu veranstalten oder medienwirksam geführte Diskussionen über nicht realisierbare Weihnachtsbeleuchtungen. Sinnvolle Konzepte für ein gemeinsames Innenstadtmarketing? Fehlanzeige. Der große Plan mit Weitblick fehlt und der generelle Wille der Unternehmen zu kooperieren - zumindest in Mönchengladbach.

5.) Die Einwohnerschaft

Nun, ich denke, wir als Einwohner sind eigentlich die Einzigen, die tatsächlich etwas ändern könnten, ohne große Summen in die Hand zu nehmen. Es bedarf nur ein wenig des Umdenkens. Sicher, es gibt nicht mehr das große Angebot an Waren, aber es gibt noch ein Angebot und das sollten wir erkennen und wahrnehmen, solange es noch da ist. Sind es die paar Euro Ersparnis im Onlineshop und die Bequemlichkeit des bis an die Haustür Lieferns wirklich wert, dass wir es zulassen, dass unsere Innenstadt, unser unmittelbares Lebensumfeld stirbt? Denken Sie doch einmal darüber nach und wenn Sie - so wie ich - zu dem Schluss kommen, dass dem nicht so ist, dann erheben Sie sich von Ihren Sofas und gehen Sie einfach am Freitag oder Samstag in ihre Innenstadt. Bringen Sie Frequenz zurück in die verbliebenen Geschäfte, füllen Sie die Stadt und wenn Sie Geld haben, kaufen Sie die Dinge, die Sie vielleicht sonst am Montag online gekauft hätten. Gehen Sie einen Kaffee trinken, setzen Sie sich auf eine der Sitzgelegenheiten und schauen Sie sich ihre Innenstadt an. Ja, Sie werden Dinge sehen, die Ihnen nicht gefallen, aber Sie werden auch Dinge sehen, die Sie vielleicht noch gar nicht kannten oder die ihnen plötzlich gefallen. Und mit der Zeit werden diese positiven Eindrücke mehr, denn je mehr Menschen in die Stadt gehen, desto mehr wird sich dort die Situation wieder verbessern. Mehr Menschen bedeutet mehr Gründe für Investoren zu kommen, daraus entsteht ein besseres Angebot, was wiederum mehr Menschen lockt. Das wäre doch mal ein positiver neuer Kreislauf, statt des ewig negativen, den wir aktuell haben. Klingt zu einfach? Ja, kann sein, denn es bedarf eines echten Umdenkens und eines Überspringens von Hürden im Kopf.

Versuchen Sie es doch mal!

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