Ein altes Foto von Mönchengladbach aus den 50ern oder 60ern. Menschen sitzen vor dem Brunnen des alten Stadttheaters. Ein altes Foto von Mönchengladbach aus den 50ern oder 60ern. Menschen sitzen vor dem Brunnen des alten Stadttheaters.
Foto: © Stadtarchiv Mönchengladbach
Die Grünanlagen und der Brunnen vor dem alten Stadttheater (heute MINTO) etwa um Juni 1961
01.05.2021
Stadtleben

Mönchengladbacher Zeitgeschichte… Erinnerungen!

Ein Rückblick aus den fünfziger-sechziger Jahren von Paul Sonn

Redaktion: Paul Sonn

Wir schreiben Anfang der fünfziger Jahre. Mönchengladbach meine Heimatstadt ist in dieser Zeit besonders durch die Textilindustrie, aber ebenfalls durch diverse, größere Maschinenfabriken, die tausenden Menschen Arbeit geben geprägt. Allmählich erwacht die Stadt aus dem „Dornröschenschlaf“. Die Trümmer des letzten Krieges sind noch nicht alle beseitigt. Trotz allem, der Blick richtet sich nur nach vorne!

Ein gewisser „Wohlstand“ ist bei entsprechender Arbeit, aber vor allem der Überstunden, die in vielen Branchen gang und gäbe sind, machbar. Nicht nur schwarz/weiß Fernseher finden reißenden Absatz. Sie sind ein Statussymbol schlechthin, obwohl man für ein Gerät mehr als 1.000 DM hinblättern muss. Trotz allem, sie gingen, um es salopp zu formulieren, wie warme Semmel über die Ladentheke.

Fernseher, natürlich schwarz/weiß 1958

Nach und nach florierte auch der Autohandel, denn was wünschte Mann-Frau sich nicht sehnlichster, als einen eigenen Wagen. Kredite dafür waren bei den Banken verhältnismäßig einfach zu bekommen, da der Lohnstreifen alleine genügte. Die ersten Urlaubsreisen, besonders mit dem VW, den Volkswagen, auch Käfer genannt, wurden unternommen. Es ging mit „Sack und Pack“ u.a. über den Brenner, Richtung Italien, ans Meer. Wie das geschafft wurde, einschließlich Kinder und Gepäck, ist mir heute noch ein Rätsel.

VW Käfer Baujahr 1959

Größere Textilwerke, wie u.a. die Gladbacher Wollindustrie, die als vollstufiges Unternehmen, vom Spinnen des Garns, bis zum Weben, Färben und Ausrüsten der Ware, ein, in der damaligen Zeit, hochmoderner Betrieb war, beschäftigten ca. 1.200 Menschen. Aber auch bei Achter & Ebels, der Firma Otten, oder auch Rheinlandtuch war es nicht anders. Alle garantierten zu dieser Zeit ebenfalls Vollbeschäftigung, Überstunden und einen sicheren Arbeitsplatz.

Weberei ca. 1955

Die meisten Firmen, wenigstens die in der Textilindustrie, versuchten durch gegenseitiges Überbieten bei den Bewerbungsgesprächen, den Weber, die Zwirnerin, den Färber, etc. für sich zu gewinnen. Schließlich gab es es den Drei-Schichtbetrieb, Früh-Spät-und Nachtschicht. Oft war es so, dass bereits der Opa, der Vater und nun der Sohn beim selben Unternehmen eine Beschäftigung fanden und die Jubiläumsfeiern für eine 25 jährige -, aber auch bis zu 40 jährigen Zugehörigkeit nicht selten anzutreffen war.

Weiterhin veranstaltete die Firma jedes Jahr ein Betriebsfest, auf das sich alle freuten. Dafür wurde u.a. bei Loers in Venn, oder Haus Baues in Windberg immer der große Saal gemietet, der aus allen Nähten platzte. Auch für die Lehrlinge gab es ein schönes Betriebsfest.

Die Nähereien schossen wie Pilze aus dem Boden. Ich kannte fast keine Familie, einschließlich unserer, wo die Frau-Mutter-Tante nicht als Näherin, oder auch Stopferin in einer der vielen Webereien arbeitete.

Nähereisaal in den 60ziger Jahren

Ebenfalls kannten die großen und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Maschinenfabriken aus Mönchengladbach nur Vollbeschäftigung. Ich erinnere mich noch sehr genau, als die Firma Schlafhorst auf der Blumenbergerstr. die eine Milliarde DM – Umsatzmarke erreichte. Was für ein Erfolg, der besonders durch diverse Spinnmaschinen, aber gerade den Autoconer (laienhaft gesagt, eine vollautomatische Spulmaschine) die dort, ebenfalls im drei Schichtbetrieb hergestellt wurden, ausschlaggebend war.

Der Textilmarkt boomte und wirklich die ganze Welt schrie nach den Maschinen. So war es bei Monfort, Mannesmann-Meer, Schorch, um nur einige weitere aufzuzählen. Mit einem Satz, die Wirtschaft und auch Mönchengladbach boomte.

Das war auch die Zeit, wo ich mein Lehrgeld bekam. Es waren 70 DM im ersten Lehrmonat, die selbstverständlich zuhause abgegeben wurden. Zwanzig DM bekam ich als Taschengeld im Monat. Was war ich stolz, endlich mein eigenes Geld zu besitzen.

Die Zeit der Eiscafés begann und besonders das Eissafe Rina am alten Schwimmbad, aber auch das Eiscafé im Sonnenhaus, dort, wo heute das Hoffmans seinen Platz gefunden hat, war Kult. Natürlich darf Tchibo auf der Hindenburgstraße und vor allem das Café Heinemann, direkt am Theater nicht unerwähnt bleiben. Ein idealer und sehr oft in Anspruch genommener Treffpunkt, nicht nur für Schüler, waren ebenfalls die Treppen vor dem Stadttheater mit dem Brunnen.

Ob es der Treff der Jugend schlechthin in Gladbach war, möchte ich nicht behaupten. Aber die Budike am Alten Markt, dort, wo neben dem Wiener Wald (sie wissen, heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wiener Wald) seitwärts ein schmaler Weg ins Ungewisse führte. Sie entpuppte sich, nicht nur für mich als zweite Heimat, da Freitags und Samstags die damals nicht nur in Mönchengladbach bekannten Bands, wie die Dukes, Towers, die Looks, die Wallflowers, aber vor allem die Shantanes, mit ihrem Song „La Baggare“ , bei Alex (Semjevski) ihre Auftritte hatten.

Die Budike war ein alter, heruntergekommener Schuppen mit einer Bühne und einigen Stühlen. Nichts besonders, aber einfach gefragt.

Heute würde der „Laden“ in einer Minute vom Ordnungsamt geschlossen, da man das Wort Brandvorschrift, Lüftung nicht kannte oder einfach ignorierte. Oft herrschten dort weit mehr als dreißig Grad, bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 90 Prozent. Oh mein Gott, was habe ich dort geschwitzt. Die Jazzer in Gladbach fühlten sich in der Budike ebenfalls zu hause. Besonders die Mrs. Felix Brass Band, unter der Leitung von Klaus Schopen, welche auch Einladungen nach Amerika, Südamerika und Japan erhielten und u.a. mehrmals mit dem weltbekannten Jazzer Chris Barber(der vor kurzem erst verstarb) auftraten. Sie bestimmten mit den Old Market Stompers und der Dixiland Band den Jazzryhtmus der Stadt und weit darüber hinaus. Alle fühlten sich bei Alex wohl. Es war einfach eine große Familie.

Die nicht wegzudenkenden Live-Bands - Beatnachmittage, auch Jugendheim-Tanztee-Veranstaltungen der 60ziger Jahre in den Pfarreien genannt, gehörten in Mönchengladbach einfach dazu. Ebenso Haus Pauen in Hardt und Haus Hempel in Rheindahlen prägten das Musikgeschehen gleichfalls in unserer Stadt und waren bei jeder Veranstaltung bis auf den letzten Platz gefüllt.

Aber nicht nur Freizeit und Musik waren wichtig für unser weiteres Leben. Viele Jugendliche, die leider aus finanziellen Gründen die höhere Schule nicht besuchen konnten, erwerben in den Abendschulen die Mittlere Reife, oder gar das Abitur. Auch die Volkshochschule in Mönchengladbach ist ebenfalls zu dieser Zeit sehr gut besucht. Besonders die Englisch-Kurse sind sehr gefragt, da keinerlei Fremdsprachen in den Volksschulen gelehrt wurden. Die ersten „Brocken“ Englisch lernte auch ich dort.

Dass die Kaiser-Friedrich Halle im Jahr 1964 lichterloh brannte, darf nicht unerwähnt bleiben. Ich bin extra mit dem Rad von meiner Lehrstelle bei der Gladbacher Wollindustrie hingefahren, um mir das „Spektakel“ anzuschauen. Man durfte ja nichts verpassen. Der Brand war das Ereignis des Jahres 1964 in Mönchengladbach.

… mittendrin statt nur dabei

Zum Glück erstrahlte die KFH nach dem Wiederaufbau und ist bis heute ein wunderschönes Wahrzeichen unserer Stadt.

Die Jahre vergingen und es sollte, was die Vollbeschäftigung in den Werken betraf, eine entscheidende Wende geben. Überkapazitäten, sowohl in der Textilindustrie, als auch bei den Maschinenfabriken bestimmten von nun an das Bild. Tausende, nein zehntausende Menschen wurden gerade in den Textilwerken gekündigt. Das große Sterben der vor einigen Jahren noch so blühenden Textilwerke in Mönchengladbach, aber auch in anderen Städten, war nicht mehr aufzuhalten. Eine bedeutende Firma nach der anderen musste schließen, bzw. beschäftigte nur noch eine Hand voll Menschen. Proteste, besonders in Mönchengladbach wurden wohl per TV gezeigt, aber ändern an dieser Misere konnte keiner etwas. Die Anfrage nach wunderschönen Stoffen aus Mönchengladbach war out.

Die Gladbacher Wollindustrie wurde von einem amerikanischen Teppichhersteller aufgekauft (das habe ich noch erlebt). Anstatt das satte, aber auch so laute Geräusch der Webmaschinen etc. zu hören, ratterten jetzt die Teppichmaschinen, aber ebenfalls nicht sehr lang. Dann war auch dieser Markt gesättigt, nein, durch Überproduktion fielen die Preise in den Keller. Schluss... Aus ... Amen...!

Mönchengladbach und seine Textilindustrie war Geschichte. Leider. Die einzige Firma, die es geschafft hat, sich früh genug dem aktuellen Markt anzupassen, war und ist bis dato Achter & Ebels. Der Wechsel, für die Autoindustrie, aber auch für die Luftfahrt textile Stoffe und Leder zu produzieren, ist bis heute sehr erfolgreich gelungen. Man kann mit Fug und Recht sagen, ein Weltunternehmen hat sich daraus entwickelt.

Ach ja, da gab es in unserer Stadt noch einen „Pferdestall“. Um es genau zu erläutern, die Fohlen wurden geboren. Borussia war in aller Munde und der Begriff „Fohlenelf“ entstand. Er ist bis heute und wird sicherlich immer ein Begriff bleiben. Vielen wissen überhaupt nicht, dass mit Günter Netzer 19 Jahre, Jupp Heynckes 19 Jahre, Werner Waddy 18 Jahre, Berd Laumen 20 Jahre und Bernd Rupp 21 Jahre, der Grundstock für eine wundervolle, eine unglaublich erfolgreiche Zeit der Fohlenelf begann.

1964 gelang der Aufstieg in die Bundesliga. Man setzte sich gegen Mannschaften wie Holstein Kiel, Wormatia Worms, und Ssv Reutlingen durch. Bereits 1970 feierte man den ersten Deutschen Meistertitel, dem noch einige folgen sollten.

Was in den anschließenden Jahren, nein Jahrzehnten mit Borussia passierte, ist allen sicherlich bekannt und muss nicht extra erwähnt werden.

So ist meine kleine, aber hoffentlich interessante Zeitreise der fünfziger -sechziger Jahre beendet. Okay, es gibt sicherlich noch vieles, was nicht erwähnt wurde, zu schreiben. Aber, das würde den Rahmen eines kurzen Gastbeitrags auch sprengen...