Hasns Schürings (Geschichtswerkstatt Mönchengladbach)
Die ehemals selbständige Stadt M.Gladbach galt lange Zeit, bis in die 1960er Jahre, als die „Soziale Hauptstadt Deutschlands“. Ausgang hierfür war der grundlegende gesellschaftliche und damit sozio-kulturelle Wandel aufgrund der Textil-Industrialisierung und der Lösungsversuche der „Sozialen Frage“ im Allgemeinen und der „Arbeiterfrage“ im Besonderen. In M.Gladbach setzten sich für eine Lösung ab 1880 der entstandene Verband „Arbeiterwohl“ und danach der 1890 gegründete „Volksverein für das katholische Deutschland“ ein. Hinzu kamen die sozialen Aktivitäten des sozial engagierten M.Gladbacher Textilunternehmers Franz Brandts, der lange Zeit den Vorsitz von „Arbeiterwohl“ und „Volksverein“ innehatte. Fokussiert wurden diese Entwicklungen im sozialen Katholizismus, insbesondere durch Franz Hitze und die sogenannten „Roten Kapläne“, Arbeiter-Priester. Hinzu kamen als erste praktische Lösungsversuche die vielfach gegründeten Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine.
Einer dieser „Roten Kapläne“, der sich dem Wohl der Arbeitenden zeitlebens verbunden fühlte, war der Priester Dr. Otto Müller, der im Jahr 1895, Priesterweihe 1894, als junger Kaplan nach M.Gladbach kam. Seine Bedeutung für die (katholische) Arbeiterbewegung und den primär religiös motivierten Widerstand gegen die Nationalsozialsten sind m.E. bis heute nur unzureichend aufgearbeitet bzw. gewürdigt worden. Zunächst war er in M.Gladbach Priester in der Hauptfarre. Dort übernahm er alsbald den Vorsitz des seit 1871 bestehenden katholischen Arbeitervereins Concordia.
Sein Engagement für die Arbeitenden setzte er im Volksverein für das katholische Deutschland (1890-1933) fort. Dort war er von 1899 bis 1917 Referent für Arbeiterfragen und soziales Vereinsleben. Parallel dazu beteiligte er sich maßgeblich am Aufbau der christlichen Gewerkschaften wie auch der katholischen Arbeiterbewegung. Sein Telos war die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter und der Hilfe zur Selbsthilfe. Er setzte sich für vom Klerus unabhängige christlich-ökumenische Gewerkschaften ein. Dies war in katholischen Kreisen lange Zeit äußerst umstritten. Als Sprachrohr der katholischen Arbeitervereine gründete er mit August Pieper 1899 die „Westdeutsche Arbeiterzeitung“ in M.Gladbach.
Nachdem er im Jahr 1900 zum Generalsekretär der katholischen Arbeitervereine in der Erzdiözese Köln ernannt wurde, folgte 1902 bis 1904 eine Weiterbildung nicht in Theologie, sondern ein Studium der Nationalökonomie in Freiburg mit abschließender Promotion über christliche Gewerkschaften. Schließlich wurde er 1903 Generalsekretär des „Verbandes Katholischer Arbeitervereine Westdeutschlands“ und beeinflusste damit nachhaltig die Katholische Arbeiterbewegung (KAB). 1906 wurde er Nachfolger von August Pieper als Diözesanpräses der Arbeitervereine in der Erzdiözese Köln. Von 1919 bis 1929 war er für die katholische Partei „Zentrum“ als Stadtverordneter im Stadtrat M.Gladbachs.
Bereits in den 1920er Jahren wandte er sich scharf sowohl gegen den Kommunismus als auch den Nationalsozialismus. 1927 holte er Bernhard Letterhaus und Nikolaus Groß in die M.Gladbacher Zentrale des Verbandes der katholischen Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutschlands. Diese befand sich seit 1913 im Kettelerhaus an der Ecke Kyffhäuserstraße und Windthorststraße.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die gesamte KAB als „staatsfeindlich“ qualifiziert, ihre mehr als 200.000 Mitglieder bedroht und verfolgt. Otto Müller, Letterhaus und Groß hielten Kontakt zum Widerstand. Es galt, die Zerstörung der christlichen Gewerkschaften und der katholischen Arbeiter- und Gesellenvereine durch den NS-Staat zu verhindern. Im Zusammenhang und infolge des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 wurden Dr. Otto Müller und seine Mitstreiter der westdeutschen Arbeiterbewegung, Nikolaus Groß (1898-1945) und Bernhard Letterhaus (1894-1944), verhaftet, verurteilt und hingerichtet. Otto Müller entging durch seinen Tod am 12. Oktober 1944, vor 80 Jahren in Gestapo-Haft in Berlin-Tegel aufgrund seiner schweren Erkrankungen der Verurteilung und Hinrichtung.
Geschichtswerkstatt Mönchengladbach, vertreten durch Karl Borland und Hans Schürings, https://gladbacher-haus-der-erinnerung.de/geschichtswerkstatt