Jessica Sindermann
Alles auf Anfang! Die Sommerpause des Theaters Krefeld und Mönchengladbach ist vorbei und die neue Spielzeit startet gleich mit einem großen Opernklassiker über eine Liebe gegen die Zeit und alle Konventionen. Michiel Dijkema inszeniert Guiseppe Verdis „La Traviata“ und legt dabei besonderen Fokus auf die Titelheldin Violetta Valéry, die „vom rechten Wege Abgekommene“, eine begehrte Edelkurtisane im Paris der 1850er Jahre. Im Interview spricht der gebürtige Niederländer, der bereits mehrfach für seine fantasie- und trickreichen Inszenierungen ausgezeichnet wurde, über seine Vorgehensweise, szenische Details und das Bühnenbild!
HINDENBURGER: Wie sind Sie zu ihrem Beruf gekommen?
Michiel Dijkema: Ursprünglich war ich eigentlich Pianist. Ich habe zuerst Klavier studiert, in Amsterdam und in Utrecht, aber relativ früh festgestellt, dass mir das nicht genügt.
Ich hatte das Bedürfnis, nebenbei noch etwas anderes zu machen, als lediglich acht Stunden am Tag Klavier zu üben. Als dann bei der Theatergruppe, bei der ich gelegentlich auch als Schauspieler tätig war, der Regisseur ausfiel, bekam ich meine Chance. Also habe ich mit 18 Jahren König Lear von Shakespeare inszeniert und im Jahr darauf Faust I und II.
Die Musik und das Inszenieren sind lange Zeit eine schöne Kombination für mich gewesen. Dann kam es dazu, dass an der Musikhochschule eine Oper von Samuel Barber aufgeführt werden sollte – eigentlich konzertant geplant, aber die Sänger waren irgendwie lustig drauf und wollten das Stück gerne szenisch umsetzen. Weil es an der Musikhochschule jedoch nicht so viele Regisseure gab, kamen sie auf mich zu und so kam eins zum anderen. Mir war nach dieser Produktion sofort klar, dass das das ist, was ich machen möchte! Also entschied ich mich für ein zweites Studium - Musiktheater Regie an der Hanns Eisler Hochschule für Musik in Berlin.
HINDENBURGER: Ab der neuen Spielzeit gehört „La Traviata“ zum Repertoire des Theaters Krefeld und Mönchengladbach. Erzählen Sie gerne etwas über die Oper.
Michiel Dijkema: Erstmal habe ich mich sehr gefreut, an dieser Produktion mitzuwirken, da ich in meiner bisherigen Laufbahn noch nie Giuseppe Verdi inszeniert habe. Es ist einfach schön für mich als ursprünglicher Pianist, auch mit den Opernkomponisten in Berührung zu kommen. Giuseppe Verdi gehört dazu. Aber auch Wagner und Strauss.
„La Traviata“ ist nochmal auf eine andere Art und Weise besonders, da Verdi einst gestanden haben soll, dass dieses Stück sein liebstes ist. Schaut man sich seine Biographie an, ist zu beobachten, dass ihm viel an dem Stoff gelegen zu haben scheint. Die Stücke, die er zuvor komponiert hat, waren doch mehr oder weniger historische Stücke mit einem kriegerischen Zusammenhang. Bis er sich plötzlich entschied, ein skandalöses, zeitgenössisches Stück zu spielen, mit einem bürgerlichen Hintergrund, welches noch dazu eine Prostituierte in den Mittelpunkt stellt. Das war natürlich brisant, insbesondere zur damaligen Zeit. Verdi schrieb seine Oper basierend auf Alexandre Dumas der Jüngeres Romans „Die Kameliendame“, dessen gesellschaftskritischen Ansatz er jedoch zu einem subjektiven Frauenschicksal umwandelte. Seine Musik konzentriert sich nuancenreich und subtil nur auf das Gefühlsleben der Hauptfiguren.
HINDENBURGER: Worum geht es thematisch in dem Stück?
Michiel Dijkema: Es geht um die schöne Violetta, die viele Verehrer hat und der Mittelpunkt eines zügellosen Kreises der französischen Oberschicht in Paris um 1850 ist. Sie ist der Inbegriff der Lebens- und Liebeslust und trotzdem begleiten sie bereits die ersten Symptome der Schwindsucht. Als ihr Verehrer Alfredo ihr seine Liebe gesteht, lässt sie ihr bisheriges Leben hinter sich und sucht ihr Glück in der Zweisamkeit mit ihm. Doch Alfredos Vater sieht die Familienehre durch Violettas anrüchige Vergangenheit gefährdet und bringt sie dazu, Alfredo zu verlassen. Dieser kennt natürlich die Hintergründe nicht und reagiert zunächst voller Eifersucht, bevor er erfährt, dass sie ihre Liebe für ihn und seine Familie geopfert hat. Als er zu ihr eilt, ist es zu spät: Violetta verstirbt in seinen Armen.
HINDENBURGER: Welche künstlerischen Elemente haben Sie in ihre Inszenierung integriert, um das Publikum in dieser Spielzeit mit „La Traviata“ zu beeindrucken?
Michiel Dijkema: Auf jeden Fall ist es mir wichtig, Geschichten in jeder meiner Inszenierungen so klar zu erzählen, dass man das Stück, auch wenn man es noch nie auf der Bühne gesehen hat, gut verfolgen und sich auch wirklich von den Figuren, den Situationen und natürlich von der Musik berühren lassen kann. Ich habe nicht vor, das Stück zu dekonstruieren, zu verändern oder gegen den Strich zu bürsten. Auf der anderen Seite muss man natürlich bedenken, dass unter dem Publikum auch immer Menschen sind, die das Stück sehr gut kennen und nicht zum ersten Mal schauen. Auch die möchte ich mit meiner Inszenierung überraschen können. Das ist immer eine Herausforderung. Eine Balance zu finden zwischen der klaren Erzählung und der eigenen Fantasie. In erster Linie soll Violetta im Vordergrund stehen – wie sie zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte mit ihrem bevorstehenden Tod umgeht und den Blick auf sich selbst lenkt. Die Frage war: Wie kann man dem Publikum vier dramatisch sehr unterschiedliche Momente nahebringen? Im ersten Bild dieses rauschhafte Leben bis ins Selbstdestruktive hinein, dann plötzlich dieses sich Festklammern an wahrer Liebe, an die sie zuvor nie geglaubt hat, im dritten Bild dann der Verzicht auf Liebe und zum Schluss die direkte Konfrontation mit dem Tod.
HINDENBURGER: Jetzt hatten Sie bei diesem Stück die Aufgabe, sowohl die Inszenierung, als auch das Bühnenbild zu übernehmen. Wie haben Sie diese Herausforderung gemeistert?
Michiel Dijkema: Ich arbeite grundsätzlich immer erst mal das Stück am Klavier durch und überlege, wie ich die Geschichte so erzählen kann, dass sie mich berührt. In den Formen der jeweiligen Partitur. Und wenn ich dann anfange, mir die verschiedenen Charaktere vorzustellen, merke ich, welche Elemente ich brauche. Erst wenn ich eine Vorstellung von der Inszenierung habe, fange ich an, die Bühne dazu zu zeichnen. Es ist nicht so, dass ich erst ein Bild kreiere und dann schaue, wie man sich darin bewegen kann.
HINDENBURGER: Können Sie schon etwas über das Bühnenbild verraten? Gibt es besondere Details, die Sie eingefügt haben, um die Handlung zu unterstützen?
Michiel Dijkema: Also zwei Fragen haben mich sehr beschäftigt, als ich über das Visuelle der Produktion nachgedacht habe. Das eine ist die Zeit, in der es spielt. Gemeinsam mit der Kostümbildnerin Tatjana Ivschina habe ich mich dazu entschieden, dieses Stück auch wirklich im Paris der 1850er Jahre zu belassen. Ich wollte ein Bild kreieren, das einen Fokus auf Violetta schafft und eben auch auf die Momente ihrer Selbstreflexion. Und dann habe ich gemerkt, dass es in den Beschreibungen der einzelnen Räumlichkeiten ein Element gibt, das immer wiederkehrt – der Spiegel. Das schien den Autoren wichtig gewesen zu sein. Dass Violetta stets die Möglichkeit hat, sich selbst zu sehen. Daher habe ich mich dazu entschieden, neben den wenigen Möbelstücken, die aus praktischen Gründen benötigt werden, nur diesen Spiegel auf die Bühne zu stellen. Violetta sich selbst gegenüber ist der Einstieg in das Stück und dadurch auch visuell das zentrale Motiv.
HINDENBURGER: Gibt es bestimmte Emotionen oder auch Botschaften, die Sie mit der Inszenierung dieser Oper vermitteln möchten?
Michiel Dijkema: Ich möchte natürlich in erster Linie all das vermitteln, was Verdi geschrieben hat. Ich habe kein zusätzliches Programm, was ich dem Stück „aufsetzen“ möchte. Aber „La Traviata“ offenbart viele Aspekte, die das Publikum reflektieren kann. Es gibt beispielsweise viele Menschen in diesem Stück, denen wichtiger ist, was die Gesellschaft von einer Liebe hält, anstatt Wert darauf zu legen, wie die Liebe der beiden wirklich ist. Und das andere ist natürlich, wie eine Frau wie Violetta mit dem Wissen umgeht, todkrank zu sein und sterben zu müssen. Wie lebt man sein Leben, wenn man weiß, dass der Tod so nahe ist? Da bietet dieses Stück ganz unterschiedliche Antworten. Das so nebeneinander zu haben und in einen ergreifenden Schluss münden zu sehen, ist das, was dieses Stück in meinen Augen einmalig macht.
HINDENBURGER: Wie war die Zusammenarbeit mit dem musikalischen Team?
Michiel Dijkema: Sobald ich weiß, dass ich ein Stück inszenieren werde, suche ich immer erst mal den Kontakt zu der musikalischen Leitung. Das liegt natürlich auch daran, dass ich selber aus diesem Bereich komme. Viele Stücke haben mehrere Fassungen und da müssen zunächst Absprachen getroffen werden. Während des Austauschs wurde dann schon relativ schnell klar, dass wir einen ähnlichen Blick auf diesen Stoff und auf diese Partitur haben. Der nächste Schritt ist dann natürlich die gemeinsame Probenarbeit. Denn sowohl beim szenischen, als auch beim musikalischen Interpretieren ist man gegenseitig voneinander abhängig. Bis hierher waren unsere gemeinsamen Proben wirklich sehr produktiv!
HINDENBURGER: Haben Sie eine persönliche Verbindung zu diesem Stück, die Ihre kreative Herangehensweise beeinflusst hat?
Michiel Dijkema: Ich muss sagen, dass ich keine direkte Nähe zu der Thematik des Stückes fühle. Ich habe mich selber nie mit einer solchen Krankheit konfrontiert gesehen und auch diese ganze Welt der Kurtisanen ist natürlich eine Welt, die nicht mehr zeitgenössisch ist. Also ist es wirklich eher die Aufgabe des „sich Hineinlebens“.
HINDENBURGER: „La Traviata“ ist ein Stück, das in einer Zeit spielt, die schon sehr lange her ist. Wie bereitet man sich als Regisseur auf ein Stück wie dieses vor?
Michiel Dijkema: Also ein Teil der Arbeit ist immer auch die historische Recherche. Nun hatte ich natürlich vom Paris der 1850er Jahren auch durch andere Stücke schon ein klares Bild, da diese Zeit generell eine Rolle im Opernrepertoire spielt. Trotzdem habe ich zuerst den Roman gelesen, dann das Schauspiel und mich erst im Anschluss daran mit Verdis Musik dazu auseinandergesetzt.
HINDENBURGER: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Theater bedeutet für mich…
Michiel Dijkema: …Geschichten erzählen.
HINDENBURGER: Lieber Herr Dijkema, herzlichen Dank für die interessanten Einblicke in Ihren Job und Ihre Inszenierung von „La Traviata“! Wir wünschen viel Erfolg bei der Premiere am 15. September!