Sopranistin Debra Heys auf der Bühne bei dem Musical Sunset Boulevard Sopranistin Debra Heys auf der Bühne bei dem Musical Sunset Boulevard
Foto: © Matthias Stutte
Mit einer letzten Vorstellung des Musicals Sunset Boulevard, verabschiedet sich Sopranistin Debra Heys nicht nur von Ihrer Traumrolle des Stummfilmstars Norma Desmond, sondern auch nach über 30 Jahren vom Theater Krefeld und Mönchengladbach.
01.02.2023
Theater

Debra Hays – Nach Über 30 Jahren: Abschied von Ihrer Theaterfamilie

Die US-Amerikanische Sopranistin verlässt das Theater Krefeld und Mönchengladbach

Redaktion: Marion Freier

HINDENBURGER: Ich habe gehört, dass Sie einer der glücklichen Menschen sind, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten. Was war denn Ihr Beruf, als das Singen noch Ihr Hobby war?

Debra Hays: Als ich noch Musik studiert habe, war ich z.B. Sekretärin, hatte viele Bürojobs. Davor war ich auch Chordirigentin in einer Schule. Damals hatte ich nur nebenbei Zeit zum Singen, aber es war ganz schön anstrengend. Dann habe ich weiter studiert und anschließend den Job in Deutschland bekommen. Aber eigentlich hatte ich immer mit Gesang zu tun.

HINDENBURGER: Und war die Leidenschaft für das Singen familiär geprägt?

Debra Hays: Ein bisschen. Meine Schwester und meine Mutter haben beide auch gern gesungen, und zwar im Kirchenchor, meine Schwester auch im Opernchor. Und wenn ich mich zurückerinnere habe ich immer viel gesungen, zuerst als kleines Kind in der Kirche, dann später in der Schule. In Amerika gibt es viele Angebote im Bereich Musikunterricht. Und es hat mir auch stets viel Spaß gemacht.

HINDENBURGER: Durch Gesang berühmt werden und Erfolg haben wollen ja viele, meist jedoch mit Pop, Rock oder Contemporary, in Ihrem Geburtsland USA auch mit Country Music. Wie kam es, dass Sie sich für das klassische Fach entschieden haben?

Debra Hays: Das hat sich einfach so ergeben. Als ich jung war habe ich auch gerne nebenbei hobbymäßig Pop oder Musical oder Country gesungen. Aber ich wollte nie ernsthaft Pop- oder Countrysängerin werden. Klassische Musik habe ich dann studiert, zunächst im gemischten Chor und dann als Dirigentin. Ich habe aber auch immer gesungen, war fasziniert von der Bühne und wann immer ich die Chance hatte, habe ich gerne Opernrollen angenommen.

HINDENBURGER: Sie haben einen Bachelor in Music Education und den Master in Voice Performance. Was hat Ihnen an Ihren Studiengängen außer dem eigentlichen Gesang am meisten Spaß gemacht?

Debra Hays: Die Gemeinschaft, die sich ergibt, wenn Musik ins Spiel kommt. Man ist sofort in einer Gruppe mit Leuten, die das gleiche machen. Das war für mich ‚extra special‘. Bei anderen Studiengängen an der Uni hatte man nie dieses familiäre Gefühl wie bei den Musik-Studiengängen, wo man ein Teil der Musikwelt war.

HINDENBURGER: Und wie ging es dann nach dem Studium weiter?

Debra Hays: Nach dem ersten Studium in meiner Heimat Oklahoma bin ich nach Texas gezogen und habe dort zunächst 3 Jahre lang als Musiklehrerin an einer Schule gearbeitet und nebenbei gesungen. Ich habe dann gemerkt, dass es stimmlich sehr anstrengend war, 7 Stunden pro Tag einen Chor mit Kindern von 12 bis 15 Jahren zu leiten und dabei noch zu sprechen. Ich wollte meine Stimme aber auch nicht kaputt machen und habe dann Voice Performance studiert. Anschließend bekam ich dann die Chance, in Europa vorzusingen.

HINDENBURGER: Nun sind Sie schon seit 1991 am Theater Krefeld Mönchengladbach? Was genau verschlug Sie an den Niederrhein?

Debra Hays: Das Vorsingen mit dem Jobangebot. Ich kannte hier niemanden. Damals wohnte ich zur Untermiete in Wien. Hatte 3 Einladungen zum Vorsingen, eine in Österreich, eine in der Schweiz und eine hier. Und über das Jobangebot hier war ich sehr froh. Was mich schlussendlich hier gehalten hat, war das Theater Krefeld Mönchengladbach an sich. Es hat eine tolle Atmosphäre, die mir damals schon gefallen hat. Zu dieser Zeit gab es hier auch einen Intendantenwechsel mit vielen anderen neuen Kollegen und wir haben uns alle sehr gut verstanden. Auch habe ich hier viele tolle Rollenangebote bekommen, da wollte ich einfach nicht mehr gehen. Obendrein sind die Leute am Niederrhein sehr herzlich, das Publikum ist treu, ganz offen und kommt teilweise nach den Vorstellungen auf mich zu und teilt mir mit, wie oft sie mich schon in der Rolle gesehen haben. Ich hatte auch nicht das Bedürfnis, an irgendeinem Riesen-Haus zu singen, denn hier hatte ich alles, was mich glücklich machte.

HINDENBURGER: Aber Sie haben sich bewusst für ein Vorsingen im deutschsprachigen Raum Europas beworben. Hatte dies damit zu tun, dass Sie schon deutsche Sprachkenntnisse hatten?

Debra Hays: Nein, gar nicht. Aber im deutschsprachigen Europa ist es möglich, als Vollzeitangestellte an einem Theater zu singen. So etwas gibt es kaum auf der Welt. Normalerweise bekommt man einen Vertrag für ein Stück für ein paar Vorstellungen und dann ist man wieder arbeitslos. Und wer kann sich das schon leisten? Den Tipp mit Europa habe ich seinerzeit von einer Lehrerin für Amerikanistik bekommen. Denn obwohl ich damals in Houston verhältnismäßig gut gebucht wurde, war mir stets klar, dass die Theater nicht immer die gleiche Sopranistin buchen würden. Und die vage Möglichkeit für eine Vollzeitstelle bestand nur in New York, wo allerdings fast jeder hin möchte, oder in Europa.

HINDENBURGER: Sie haben hier viele Opern-Rollen gesungen, jedoch auch Operette und Musical. Sie verabschieden sich auch von der Bühne mit einem Musical - in der Rolle der Norma Desmond in „Sunset Boulevard“. Welche der Musikrichtungen sagt Ihnen am meisten zu?

Debra Hays: Keine spezielle. Jede hat ihren Charme und ihre schönen Seiten. Und weil ich nicht von Anfang an auf eine bestimmte Richtung fokussiert war, habe ich immer alle Musikrichtungen gesungen. Ich hatte auch keine Abneigung, als Opernsängerin auch Musicals oder Operette zu singen. Wenn man allerdings als Opernsängerin auf dem Höhepunkt seines Könnens bzw. seiner Karriere ist, ist es etwas schwerer, modernere Musikrichtungen zu singen.

HINDENBURGER: Was sind die darstellerischen oder stimmlichen Herausforderungen bei den 3 Musikrichtungen Oper, Operette und Musical?

Debra Hays: Ich war immer froh, dass ich als Soubrette bis lyrischer Koloratursopran engagiert war, denn hier durfte ich meine Grenzen austesten. In einem großen Haus ist man meist an ein bestimmtes Rollenfach gebunden, aber hier durfte ich das ganz spielerisch ausprobieren, auch die ganzen Rollen wie die Gilda oder die Sophie. Als Soubrette durfte ich auch viel schauspielern, habe es genossen, die komischen Rollen spielen zu dürfen und mich auf der Bühne auszutoben. Beim Musical kommt es dann zwar viel auf die darstellerische Seite an, aber das Singen ist nicht zu unterschätzen. Oper habe ich natürlich auch gerne gesungen, aber den Riesen-Stimmumfang zu halten, ist natürlich nicht einfach. Mittlerweile möchte ich die schwereren Parts aber den Kolleginnen überlassen, die in ihren absolut besten Jahren sind. Da singt man mit anderer Freude und ohne Angst. Man denkt natürlich, mit den Jahren kommt eine bestimmte Erfahrung dazu, die einen ein bisschen lockerer macht. Aber es ist wie bei Sportlern, bei denen die Muskulatur irgendwann nachlässt. Bei mir sind es auch nicht die ganz hohen Töne, die mich bzw. meine Stimme anstrengen, sondern die ganzen Jahre und Jahrzehnte, die man fast durchweg gesungen hat. Ähnlich wie bei einem Läufer, bei dem irgendwann die Füße kaputt sind.

HINDENBURGER: Unabhängig von der Tatsache, dass Corona quasi zu einem Berufsverbot für Sie führte, wie haben Sie und Ihre Stimme die Pandemie hinter sich gebracht?

Debra Hays: Ich hatte das Glück, dass ich erst ganz spät von Corona erwischt wurde, und dann so mild, dass ich es fast nicht bemerkt habe. So musste ich keine Angst vor Langzeitschäden haben. Ich durfte jedoch - nachdem wir ein halbes Jahr gar nichts machen durften - bei vielen neuen Konzepten mitwirken, z.B. bei der Corona-Revue, die wir tatsächlich mit Masken aufgeführt haben, aber auch bei vielen digitalen Angeboten für das Publikum. Ich habe auch bewundert, was für kreative Ideen und neue Formate dort entstanden sind, wie „The Show Must Go On“.

HINDENBURGER: Zurückblickend auf Ihre lange Karriere, welches war Ihre Lieblingsrolle oder gibt es vielleicht mehrere?

Debra Hays: Es gibt mehrere - so viele, dass ich es kaum sagen kann. Über die Jahre durfte ich bestimmt 80% meiner ganzen Traumrollen singen. Mozart lag mir immer gut. Und während der letzten 30 Jahre durfte ich bei erneuten Aufführungen einer Mozart-Oper dann jedes mal eine andere Rolle singen, zuerst die kleine Junge, dann die weibliche Hauptrolle und zum Schluss die lustige Tante oder Mutter. Bei den Operetten war ich zuerst die 2. weibliche Rolle, der Buffo-Sopran, und später dann die große Diva. Gerne denke ich auch an den Rosenkavalier oder Rigoletto zurück. Und dann natürlich im Musical die Norma Desmond.

HINDENBURGER: Und gibt es eine Rolle, die Sie immer gerne singen wollten, jedoch nie gesungen haben?

Debra Hays: Tatsächlich gibt es ein paar Rollen, die erst im Spielplan auftauchten, nachdem es für mich für diese Rollen zu spät war. Zum Beispiel eine Rolle in „Die Gespräche der Karmeliterinnen“ oder eine ganz bestimmte Rolle aus einem Stück von Strawinsky. Es gibt ein paar Rollen, die ich noch gerne gesungen hätte. Aber wer singt schon 100% von dem, was er oder sie sich wünscht? Die meisten Sängerinnen konnten über die Zeit ihrer Karriere nur 3 oder 4 schöne Rollen singen und ich weit mehr als 100.

HINDENBURGER: Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach Ihrem letzten Auftritt als Norma Desmond?

Debra Hays: Mein Hauptwunsch war immer das Reisen. Es gibt noch vieles auf dieser Welt, das ich sehen möchte. Mit der Präsenzpflicht hatte ich nur einmal im Jahr die Chance, nach hause zu fliegen, und zwar mitten im Sommer. Das habe ich auch jedes Jahr gemacht, außer während der Corona-Zeit. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt in den USA immer zu heiß. Jetzt kann ich meine Zeit anders planen, muss nicht im August fliegen, sondern kann ein paar Wochen im Mai und dann im Herbst Zeit mit meinen Freunden und der Familie verbringen.

HINDENBURGER: Werden Sie sich komplett von der Theaterbühne verabschieden?

Debra Hays: Im Moment spiele ich parallel zu Norma Desmond hier in Mönchengladbach noch eine kleine Musical-Rolle in „Liebe, Mord und Adelspflichten“ am Theater Krefeld. Dieses Stück kommt dann im Frühjahr nach Mönchengladbach. Und wenn ich irgendwo aushelfen kann, auch wenn es nur eine kleine Rolle ist, und wenn ich die Oma in einem Kinderstück spiele, dann mache ich das gerne, solange ich kann. Denn es macht einfach Spaß. Ich wohne ja auch mehr oder weniger um die Ecke. Das Theater ist meine Familie und ich freue mich stets, wenn ich die Leute wiedersehen kann.