Anne Weiler steht zwischen zwei Kleiderstangen an denen Theaterkostüme hängen Anne Weiler steht zwischen zwei Kleiderstangen an denen Theaterkostüme hängen
Foto: © Matthias Stutte
01.06.2022
Theater

Kleider machen Leute!

Kostümassistentin Anne Weiler im Interview

Redaktion: Jessica Sindermann

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und stellen Sie sich einmal ein Schauspiel ohne passende Kostüme vor – Der Prinz erscheint im selben tristen Look wie der Bettelmann und die Königin gleicht der Hofdame spiegelbildlich. Das funktioniert in einigen wenigen Inszenierungen möglicherweise, ist jedoch für die meisten Theaterbesucher*innen undenkbar! Egal ob im Schauspiel, Ballett oder Musiktheater sind die Kostüme ein fester Bestandteil und gehören einfach dazu. Jede*r Darsteller*in transportiert mit ihrem Äußeren individuelle Botschaften und verkörpert eine Bühnenfigur mit eigenen Gedanken und Gefühlen. Damit die äußere Erscheinung auf der Bühne authentisch wirkt und die Darstellenden vollkommen in ihre Rolle schlüpfen können, laufen die Vorbereitungen der Kostümabteilung in den Monaten zuvor auf Hochtouren.

Anne Weiler ist seit 2016 als Kostümassistentin am Theater Krefeld und Mönchengladbach tätig und entwirft seit Anfang 1990 Bühnenbilder und Kostüme für alle Sparten und Spielstätten. Im Interview gewährt sie mir Einblicke in ihren spannenden Beruf und die Kostümwelt des Theaters!

HINDENBURGER: Was sind Ihre Aufgaben als Kostümassistentin am Theater Krefeld und Mönchengladbach?

Anne Weiler: Ich bin eine von zwei Assistentinnen der Kostümabteilung im Theater Krefeld und Mönchengladbach und bin dafür zuständig, den Alltag der Gewandmeisterinnen zu organisieren. Da geht es vor allem um den organisatorischen Bereich im Hintergrund: die Koordination der Anproben, dafür zu sorgen, dass alle Kolleg*innen rechtzeitig zur Anprobe erscheinen und dass die ganzen Details bereitgestellt sind. Das geht von ganz profanen Dingen wie Gürtel, Socken oder Schuhen bis hin zur Feinarbeit wie dem Färben, der Malerei und dem Dekorieren von Hüten. Wir sind rundum in der ganzen Abteilung tätig.

HINDENBURGER: Ist das ein Beruf, den Sie sich schon als junges Mädchen für sich vorgestellt haben? Wie sind Sie dazu gekommen?

Anne Weiler: Nein tatsächlich nicht, das hat sich eher zufällig ergeben im Laufe der Zeit. Ich hatte nie den Gedanken, dass ich etwas am Theater oder auf der Bühne arbeiten könnte. Im Rahmen eines halbjährigen Praktikums habe ich meine Begeisterung fürs Theater entdeckt und bin dann auf den Backstage-Bereich aufmerksam geworden. Und so bin ich nach meinem Innenarchitekturstudium zunächst in der Abteilung des Bühnenbilds gelandet, bevor ich zum Kostümbild gewechselt bin. Da bin ich dann wirklich quer eingestiegen in das Thema.

HINDENBURGER: Sie haben ja schon bei so einigen Stücken mitgearbeitet. Wie lange braucht man ungefähr, bis die Kostüme für eine Produktion fertig sind?

Anne Weiler: Das ist von Sparte zu Sparte natürlich unterschiedlich. Der Vorlauf für das Musiktheater ist meistens länger als der für ein Schauspiel, was damit zu tun hat, dass die Konzeptionen beim Musiktheater früher feststehen und daran während der Proben in der Regel nichts mehr geändert wird. Das ist im Schauspiel zum Beispiel anders. Da werden über die Figuren nochmal andere Kostümideen entwickelt. Normalerweise ist der Vorlauf so circa ein halbes Jahr. Dann hat man den ersten Kontakt mit der/dem Kostümbilder*in, die das Regieteam vertreten und erzählen, was das Konzept und die Grundidee sind und was mit der Inszenierung ausgedrückt werden soll. Oft sind es ja die klassischen Dramen, Komödien oder Opern, die man durchaus schon mal woanders gesehen hat. Aber jedes Regieteam hat immer einen neuen Ansatz und das spiegelt sich dann besonders in den Kostümen wider. Ein halbes Jahr vorher kommen also immer so die ersten Entwürfe.

HINDENBURGER: Und wo werden all die Kostüme gelagert?

Anne Weiler: Wir haben einen großen Fundus, der nach Damen und Herren, Themen und Zeiten sortiert ist. Es ist alles genau beschriftet und hängt nach Farben und Größen geordnet auf Ständern. Und es gibt auch einen separaten Schuhfundus, der ebenfalls eine Damen- und Herrenseite beinhaltet. Im Haus selber gibt es nur den Tagesfundus, in dem sich die ganzen Sachen befinden, an denen gerade gearbeitet wird. Die stehen dort bis zum Moment der ersten Probe.

HINDENBURGER: Welche unterschiedlichen Berufe gibt es in der Kostümabteilung?

Anne Weiler: Am Theater Krefeld und Mönchengladbach gehören viele ausgebildete Schneider*innen, drei Gewandmeisterinnen (eine davon ist Frau Schotes, die die Kostümabteilung auch leitet) und zwei Kostümassistentinnen dazu. Das sind so die hauptsächlichen Berufe hier bei uns. Und dann gibt es natürlich noch Ankleider*innen, die die einzelnen Vorstellungen betreuen und Kostümbilder*innen. Die werden allerdings oft für einzelne Produktionen beauftragt.

HINDENBURGER: Was passiert mit den Kostümen, die nicht mehr benötigt werden?

Anne Weiler: Wenn eine Vorstellung abgespielt ist und man weiß, entsprechende Kostüme werden auf der Bühne erstmal nicht mehr benötigt, dann kommen diese in den Fundus. Und wenn der dann allmählich überquillt, organisieren wir jedes Jahr einen Kostümverkauf. In Mönchengladbach war der dann auch oft mit dem Theaterfest verbunden und sehr gut besucht. Leider waren solche Veranstaltungen aufgrund von Corona die letzten zwei Jahre ja nicht möglich, aber sicher in Zukunft wieder!

HINDENBURGER: Muss wirklich jedes Kostüm an jede*n Sänger*in oder Tänzer*in angepasst werden oder werden manche auch einheitlich produziert?

Anne Weiler: Wir bemühen uns auf jeden Fall, dass es passt! Besonders auch bei den Tänzer*innen, die sich in ihren Kostümen viel bewegen. Da muss schon alles perfekt sitzen, damit die sich auch wohlfühlen auf der Bühne und da schlussendlich nichts unangenehm verrutscht oder stört während des Tanzens. Wir haben natürlich oft die Situation, dass ein maßgefertigtes Kostüm für eine*n Sänger*in perfekt sitzt und wir dann improvisieren müssen, falls eine akute Umbesetzung stattfindet.

HINDENBURGER: Als vorletzte Frage noch eine Schätzfrage. Wie viel Kostüme hat das Theater ungefähr?

Anne Weiler: Ohjeee! (lacht) Also wenn man jedes einzelne Teil nimmt, sind es sicher mehrere tausend. Aber sie hängen wirklich dicht an dicht im Fundus und daher fällt mir das Schätzen in diesem Falle wirklich schwer.

HINDENBURGER: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Theater bedeutet für mich…

Anne Weiler: …die perfekte Kombination aus Beruf und Leben.

HINDENBURGER: Liebe Frau Weiler, herzlichen Dank für die Einblicke hinter die Kulissen und in die Kostümwelt des Theaters! Über dreißig Jahre sind Kostüme jetzt schon ihre Leidenschaft – auf die nächsten dreißig!