Jessica Sindermann
Besondere Momente für die Ewigkeit festhalten – das tun wir doch alle gerne! Ob Taufe, Hochzeit, Kommunion oder Grillabend – ein schönes Foto für das Familienalbum darf niemals fehlen. Aber was ist, wenn die Lichtverhältnisse schlecht sind und sich die Fotomodelle zudem noch ständig bewegen? Dann kann so eine Aufnahme schnell zu einer echten Herausforderung werden! Matthias Stutte ist seit 1996 Fotograf am Theater Krefeld und Mönchengladbach und ist Experte auf diesem Gebiet. Wenig Licht, farbige Scheinwerfer und Protagonist*innen, die auf der Bühne ständig in Bewegung sind, bestimmen seinen Arbeitsalltag. Im Interview habe ich mit dem gebürtigen Dortmunder über seinen Weg zur (Theater-) Fotografie gesprochen und auch darüber, wie er mit den entsprechenden Herausforderungen umgeht!
HINDENBURGER: Wie sind Sie zur (Theater-)Fotografie gekommen?
Matthias Stutte: Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Ich habe zu Schulzeiten bereits Theater gespielt und auch inszeniert, dadurch war für mich nach dem Abitur und Zivildienst erst mal klar – Ich werde Schauspieler. Nachdem ich mich dann leider erfolglos an den drei renommiertesten Schauspielschulen beworben hatte, entschied ich mich für ein Lehramtsstudium. Damit war ich allerdings nicht wirklich glücklich. Auf einer Einweihungsparty lernte ich dann den Dortmunder Theaterfotografen kennen, der auf der Suche nach einem Praktikanten war. Ich dachte mir in dem Moment: „Fotografie ist doch eigentlich auch ganz interessant. Außerdem bist du dann einmal am Theater und wirst dort vielleicht entdeckt!“ (lacht) Die Begeisterung meiner Eltern hielt sich damals in Grenzen. Ich entschied mich trotzdem für dieses Praktikum und stellte schon nach kurzer Zeit fest, dass ich dieses Berufsfeld zunehmend spannender fand. Mein Wunsch nach einem Schauspielerdasein rückte immer weiter in die Ferne. Schlussendlich studierte ich dann in Essen an der Folkwang Universität der Künste „Kommunikationsdesign“ mit dem Schwerpunkt „Fotografie“ und absolvierte gleichzeitig ein Volontariat als Bildredakteur bei der Westfälischen Rundschau. Meine erste Anstellung als Theaterfotograf erhielt ich 1993 am Theater Dortmund, bevor ich drei Jahre später hier an das Theater Krefeld und Mönchengladbach wechselte.
HINDENBURGER: Was reizt Sie an der Theaterfotografie besonders?
Matthias Stutte: Dass sie immer wieder neu ist. Während ich fotografiere, wird mir in einem vertrauten Raum an unterschiedlichen Abenden jedes Mal eine andere Welt gezeigt. Die verfügt über bestimmte Mittel und Ästhetiken, mit denen sie arbeitet. Meine Aufgabe ist es, diese zu spüren und durch meine Fotografie zu transportieren, um dem Publikum einen realistischen Eindruck vom Bühnengeschehen zu vermitteln. Immer wieder neu sehen zu dürfen, zu fotografieren und herauszustellen, um was es geht, ist auch jetzt, nach über 30 Jahren, nie langweilig!
HINDENBURGER: Hat sich die Theaterfotografie im Laufe der Jahre verändert? Inwiefern?
Matthias Stutte: Was sich enorm gewandelt hat durch das Fortschreiten der Technik ist das Tempo, indem Fotografie „passiert“. Alles ist heutzutage digital und geht dadurch natürlich wesentlich schneller. Als ich damals begonnen habe, wurde noch zu einhundert Prozent analog fotografiert und alle Fotos mussten per Hand beschriftet werden. Ich selber habe in meinem Büro sogar noch eine Dunkelkammer, in der ich meine Praktikanten auch nach wie vor arbeiten lasse. Es ist wichtig, dass sie dort sowohl das Belichten von Bildern, als auch das Entwickeln von Filmen lernen. Jeder, der das einmal beherrscht, geht meiner Meinung nach auch mit den zahlreichen Einstellungsoptionen bei Photoshop anders um. Inhaltlich ist die Theaterfotografie in dem was sie soll – nämlich Kunst transportieren – in einem wertvollen Rahmen, nach wie vor das Gleiche. Die Aufgabe an sich hat sich nicht verändert.
HINDENBURGER: Auf der Bühne passiert vieles in Bewegung. Ich stelle es mir schwierig vor, da den richtigen Moment zu erwischen. Wie lösen Sie das?
Matthias Stutte: Durch intensives Zuschauen und Erwarten dessen, was zeitnah passieren soll. Dazu gehört schon einiges an Intuition, aber auch Erfahrung, die mich bestimmte Dinge erahnen lässt.
HINDENBURGER: Welche Herausforderungen gibt es bei der Theaterfotografie?
Matthias Stutte: Ballett ist von der Geschwindigkeit her so schnell wie Eishockey. Dieses rasante Bühnengeschehen optimal festzuhalten, ist wirklich anspruchsvoll. Dabei hilft die Technik heutzutage enorm. Die schlechten Lichtverhältnisse begünstigen das Ganze natürlich auch nicht gerade. Gestern habe ich beispielsweise „Die Nachtwandlerin“ fotografiert. Eine Inszenierung, bei der der Bühnenraum sehr dunkel ist und der Chor sich zudem in schwarzen Kostümen permanent auf der Bühne befindet, während die Sopranistin ein glänzend weißes Oberteil trägt. Da kann die Belichtung dann zu einer echten Herausforderung werden, denn man möchte ja, dass sowohl der Bühnenraum, als auch der Chor und die Darsteller*innen auf dem Bild gleichermaßen sichtbar sind.
HINDENBURGER: Können Sie unserer fotografiebegeisterten Leserschaft ein paar Tipps und Tricks verraten, um bewegte Momente bei schlechten Lichtverhältnissen festzuhalten?
Matthias Stutte: An dieser Stelle würde ich mich gerne auf die ersten Worte des Zirkusdirektors in Thomas Bernhards Theaterstück „Macht der Gewohnheit“ beziehen. Die lauten: „Üben, Üben, Üben. Machen, machen, machen.“ Man kann sich noch so viel theoretisch aneignen und auch ich könnte jetzt natürlich etwas über Kameras, ISO-Werte und Software erzählen, aber im Ausprobieren liegt meiner Meinung nach der größere Erfolg. Das ist das, was am meisten bringt. Einfach mal machen! Und vielleicht mit anderen über die Ergebnisse sprechen.
HINDENBURGER: Wonach entscheiden Sie, welche Bilder Sie weiter bearbeiten
Matthias Stutte: Der Weg ist eigentlich immer folgender: ich fotografiere, gehe in mein Büro, lade die Fotos herunter und habe dann (nach einem Ballettabend zum Beispiel) zunächst 800 Fotos. Davon werden dann erst einmal 600 aussortiert und von den 200 übergebliebenen suche ich mir letztendlich nur 35 Bilder zur Weiterbearbeitung aus. Ich achte bei meiner Bildauswahl natürlich immer darauf, dass die Kollegen und Kolleginnen gut getroffen sind und Haltung, Gestik und Mimik auch zu der entsprechenden Situation passen. Im Anschluss daran schaue ich mir die Fotos zur Endauswahl gemeinsam mit dem Ballett-, Opern- oder Schauspieldirektor (je nach Sparte) nochmal an. Manchmal kommt es vor, dass sich Kostüme und Perücken im weiteren Verlauf noch einmal ändern oder ganze Szenen verworfen werden. Dann müssen meine Fotos der jeweiligen Probe natürlich verworfen werden und daher ist mir die Rücksprache mit den Verantwortlichen sehr wichtig.
HINDENBURGER: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Theater bedeutet für mich…
Matthias Stutte: … eine der aufregendsten Welten, die ich mir denken kann!
HINDENBURGER: Verschiedene Inszenierungen, unterschiedliche Lichtverhältnisse, Protagonist* innen in Bewegung – ebenso wie das Leben, steht auch das Theater nie still. Matthias Stutte hat ein Auge für die Bewegtheit des Bühnengeschehens und den Zauber des Theaters. Sein Blick ist über drei Jahrzehnte geschult. Wir bedanken uns für die interessanten Einblicke in die Welt der Fotografie und hoffen auf viele weitere fotografische Theatermomente!