Jessica Sindermann
In unseren deutschen Theatern sind rund 1.200 Sängerinnen und Sänger beschäftigt – Sophie Witte ist eine davon. „Libretto“, „Rezitativ“ und „Arie“ sind für sie längst keine Fremdwörter mehr, denn bereits als Kind sammelte sie ihre ersten Bühnenerfahrungen mit der Kinderoper. Seit der Spielzeit 2012/ 2013 ist sie ein fester Teil des Ensembles am Theater Krefeld und Mönchengladbach und begeisterte mit ihrem Gesang sowie ihrer Leidenschaft zur Musik in den letzten Jahren u.a. als Susanna in „Le nozze di Figaro“, als Manon in der gleichnamigen Oper, als Zerlina in „Don Giovanni“, als Pamina in „Die Zauberflöte“, als Rusalka in der Märchenoper Rusalka, als Ophelia in Hamlet, und als Gilda in „Rigoletto“. Ab Mai wird die Sängerin dann als „Amina“ in Vincenzo Bellinis Melodrama „Die Nachtwandlerin (La Sonnambula)“ auf der Bühne stehen.
HINDENBURGER-Redakteurin Jessica Sindermann hat die gebürtige Berlinerin zum Interview getroffen und mit ihr über ihren Weg auf die große Bühne, ihren Arbeits(all)tag und die kommende Spielzeit gesprochen. Auch ihren Lieblingskomponisten hat sie am Ende verraten – Aber lesen Sie selbst!
HINDENBURGER: Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Haben Sie sich schon als Kind für die Oper interessiert?
Sophie Witte: Ich war eigentlich schon als Kind an klassischer Musik interessiert. Meine Eltern sind beide Rock- und Popmusiker und daher bin ich mit Musik aufgewachsen. Dass wir Kinder ein Instrument lernen sollten, war vollkommen klar und nachdem ich meinen Geschwistern dann regelmäßig beim Klavierüben zugehört hatte wusste ich, welches Instrument es bei mir werden sollte. Klavier war auch mein erstes Hauptfach damals in der Musikschule, wo seinerzeit übrigens hauptsächlich klassisch ausgebildet wurde. Die Kinder, die ein Orchesterinstrument gespielt haben, gingen ins Orchester und als „Klavierkind“ nahm man am Chor teil. Das Singen hat mir immer schon wahnsinnig viel gegeben und ich erinnere mich genau, dass ich mich deswegen jede Woche auf den Mittwoch gefreut habe! Auf den Chor. So hat sich mein Bewusstsein für die Liebe zum Gesang entwickelt. Wenn ich mir alte Videos aus meiner Kindheit anschaue fällt auch auf, dass ich auf jedem Video singe! (lacht) Und später habe ich mich doch dazu entschlossen, Operngesang zu studieren. Das klingt jetzt wie eine logische Konsequenz. Aber lange Zeit dachte ich, dass ich Pianistin werden will. Der Gesang schien mir immer eher ein Hobby zu sein, da es mir eben schon immer so viel Spaß gemacht hat.
HINDENBURGER: Haben Sie auch schon mal darüber nachgedacht, in die Popmusik zu wechseln?
Sophie Witte: Ich habe zwischendurch immer mal gedacht, dass es spannend wäre, mich darin auszuprobieren. Aber klassische Musik hat so viel zu bieten, so viel zu entdecken, so viel Tiefgründiges! Also – keine Chance für die Popmusik! Wobei es sowohl in der früheren, als auch in der heutigen Zeit wunderbare Popmusik gibt. Ariana Grande ist zum Beispiel eine wirklich großartige Sängerin.
HINDENBURGER: Was ist in Ihrem Beruf besonders wichtig?
Sophie Witte: Definitiv der Wille, mit den Mitteln der Musik und der Darstellung etwas erzählen zu wollen. Dem Publikum diese wunderschöne Musik zu präsentieren und dabei keine Scheu zu haben, auch ein Stück von sich selbst zu zeigen. Und besonders wichtig: eine gewisse Nervenstärke zu besitzen.
HINDENBURGER: Welche Bedeutung hat die Oper für Sie? Was reizt Sie daran?
Sophie Witte: Die dargestellten Stoffe erhalten durch die Musik irgendwie nochmal eine besondere Dramatisierung, die mitten ins Herz trifft. Ich habe das Gefühl, dass man sich dem nicht entziehen kann und die Seele irgendwie einfach mitgerissen wird! Das erfüllt und fasziniert mich so an der Oper.
HINDENBURGER: Wie sieht ein Arbeitsalltag bei Ihnen aus? Singen Sie von morgens bis abends?
Sophie Witte: Nein, das geht natürlich LEIDER nicht. Die Stimmlippen sind schließlich ein kleiner Muskel, den ich nicht in dem Maße strapazieren darf, wie ich es gerne würde. Mein Arbeitsalltag ist daher immer sehr unterschiedlich. Momentan habe ich kaum szenische Proben, denn es wird parallel ein anderes Stück geprobt, in dem ich nicht singe. Dafür habe ich jetzt Zeit, die nächste Partie auswendig zu lernen. Das nimmt immer sehr viel Zeit in Anspruch, da zur Übung des Gesangs und der Ausarbeitung der Gestaltung meistens erst mal die Übersetzung ins Deutsche erforderlich ist. Außerdem setzt man sich schon sehr intensiv mit dem Text, der Wort-Ton-Beziehung, mit Subtexten, mit der Entwicklung des Charakters der Partie und auch den Entstehungshintergründen auseinander. So nähere ich mich dann Stück für Stück dem Charakter an. Wenn etwas Zeit bleibt, mache ich gleich nach dem Aufstehen erst mal ein bisschen Sport. Jogging und im besten Falle auch noch Yoga. Bevor ich dann mit dem Üben der Partien beginne ist es auch wichtig, meine Stimme aufzuwärmen. Daher mache ich jeden Tag dieselben Stimmübungen. Wenn es dann auf die szenischen Proben zugeht, die komplette 8-stündige Arbeitstage in Anspruch nehmen, halte ich gerne immer wieder mit dem Regisseur Rücksprache.
HINDENBURGER: Sie müssen sehr viel Text behalten, da Sie teilweise mehrere Stücke gleichzeitig proben. Haben Sie Tipps, wie das gelingt?
Sophie Witte: Ich würde eindeutig sagen: Die Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs! Wir Sängerinnen und Sänger haben das Glück, dass wir die Musik zur Verfügung haben, denn sie erleichtert das Auswendiglernen enorm. Wobei auch für Zählzeiten für Gesangseinsätze und Strophenlieder immer wieder viele Eselsbrücken benötigt werden.
HINDENBURGER: Erzählen Sie gerne etwas über die aktuelle Spielzeit - Worauf kann sich das Publikum freuen?
Sophie Witte: In meinem Fall auf „La Sonnambula“ von Bellini, dem Belcanto Komponisten schlechthin. Das ist für mich als Sängerin ein Traum, da man sehr viel Gestaltungsfreiraum hat und Bellini viele schöne Gesangsmelodien geschrieben hat. Es handelt sich dabei um eine klassische Rettungsoper, allerdings etwas anders als damals üblich. Die Hauptfigur Amina wird nämlich nicht vor äußeren Umständen gerettet, sondern eher vor innerer Isolation und dem Unverständnis der Gesellschaft. Als die junge Braut am Tag vor ihrer Hochzeit schlafend im Hotelzimmer des Grafen Rodolfo entdeckt wird, wird ihr zunächst Untreue vorgeworfen und ihr Verlobter Elvino verlässt sie. Später stellt sich dann heraus, dass Amina, ausgelöst durch emotional aufwühlende Geschehnisse, schlafwandelt. Am Ende findet die Hochzeit dann doch mit Amina statt und nicht mit der zwischenzeitlich favorisierten Lisa. Es gibt also ein glückliches Ende, bei dem beide wieder zueinander finden! So zumindest in der Originalversion der Oper.
HINDENBURGER: Haben Sie ein Lieblingslied oder einen Lieblingskomponisten?
Sophie Witte: Das ist schwierig zu sagen. Ich denke, Belcanto ist mein Lieblingsgenre und daher ist auch Bellini auf jeden Fall einer meiner Lieblingskomponisten, wenn es um die Oper geht. Zusammen mit Donizetti, Massenet, Gounod und vielen weiteren Komponisten. Auch die spätromantischen Opern mag ich sehr! Wobei ich sagen muss, dass ich jedes Mal, wenn ich mich mit dem Werk eines anderen Komponisten eingehend beschäftige, meistens auch dessen Musik zu lieben lerne.
HINDENBURGER: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Theater bedeutet für mich…
Sophie Witte: …die Beschäftigung mit den verschiedensten emotionalen, Seelen- und Geisteszuständen und das Lernen, damit umzugehen. Theater ist eine Stütze im Leben und dafür da, all die Probleme, mit denen man konfrontiert wird, als etwas Alltägliches anzunehmen. Als etwas, mit dem man nicht alleine ist.
HINDENBURGER: Liebe Frau Witte, herzlichen Dank für die spannenden Einblicke in ihr Leben als Sopranistin! Ab dem 21. Mai können alle Theaterfans dann in Bellinis Oper „La Sonnambula/ Die Nachtwandlerin“ eintauchen und Sophie Witte in der Rolle der „Amina“ bestaunen!