Jessica Sindermann
Scheinwerferlicht, große Theaterbühnen, facettenreiche Kostüme und Tag für Tag der Blick in begeisterte Gesichter – so stellen wir uns den Beruf einer Schauspielerin vor! Schauspielende sind wahre Individualisten und echte Künstler in punkto Wandelbarkeit. Heute die frische, strahlende Teenagerin, morgen die hinfällige Greisin. Am Nachmittag noch Verbrecherin in Picassos Atelier, einige Stunden später Prinz Hamlet auf der Bühne. Von der Bettlerin zur Edelfrau, von der Prinzessin zur Stallmagd und von der Heldin der Geschichte zur Antagonistin einer anderen. Das bedarf eines jahrelangen Trainings und der Ausbildung an einer der begehrten Schauspielschulen.
Tausende träumen von einer solchen Karriere als Theaterakteur und bewerben sich jährlich an den staatlichen Schauspielschulen in ganz Deutschland. Marie Eick-Kerssenbrock hat es geschafft. Sie ist ausgebildete Schauspielerin und seit dieser Spielzeit Teil des Ensembles am Theater Krefeld und Mönchengladbach. Bereits in ihrer Kindheit entwickelte die 23-jährige, gebürtige Bonnerin eine tiefe Verbindung zur Theaterwelt, inspiriert durch ihren Vater, der bereits als Musiker am Theater tätig war. Schon früh besuchte sie seine Proben und Aufführungen, wodurch das Theater sukzessive zu einem sehr vertrauten Ort wurde. „Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, saß ich dann mit meinem kleinen Bruder am Klavier, während er andächtig eine Taste nach der anderen herunterdrückte und lauschte. Ich hingegen schlug mit meinen beiden Fäusten – eher unvorsichtig – auf die Tasten. Als mein Vater dann fragte, ob ich nicht versuchen wolle, nur einzelne Töne zu spielen, habe ich geantwortet ‚Aber Papa, ich spiele doch Theater‘“, erzählt Marie. „Es war schon ein bisschen vorgezeichnet, welchen Weg ich einschlagen würde. Heute erinnert sie sich noch gerne an ihre allererste Rolle als Hund in der Kinderoper „Brundibár“ von Hans Krása und Adolf Hoffmeister zurück.
Obwohl sie seit ihrem sechsten Lebensjahr Geige spielte, entschied sich Marie Eick-Kerssenbrock gegen eine musikalische Karriere und widmete sich stattdessen voll und ganz ihrer wahren Leidenschaft – der Schauspielerei. Bevor sie ihr Schauspielstudium von 2020 bis 2024 am Mozarteum in Salzburg absolvierte, wirkte sie in Mariano Pensottis Theaterstück „Diamante“ bei der Ruhrtriennale, bei den Wiener Festwochen und den Berliner Festspielen mit. Außerdem sammelte sie Bühnenerfahrung am Düsseldorfer Schauspielhaus und am Jungen Deutschen Theater in Berlin. Während ihrer Studienzeit entwickelte sie eigene szenische Projekte und spielte unter anderem die Rolle der Ruth Berlau in „Berlau“: Königreich der Geister“ unter der Regie von Bernhard Mikeska, sowohl am Theater Chur als auch am Sydhavn Teater in Kopenhagen. „Dieses Monologstück war wohl die größte und gleichzeitig schönste Herausforderung in meiner bisherigen Schauspielkarriere. Ich musste in einem kleinen Raum vor einzelnen Zuschauern flexibel und authentisch agieren und immer wieder neu mit den Reaktionen der Zuschauer umgehen. Das war teilweise zwar sehr anstrengend und intensiv, aber auch eine wirklich besondere Erfahrung“, erinnert sie sich zurück.
Es ist das Persönliche innerhalb ihrer Schauspielkunst, auf das die junge Schauspielerin Wert legt. Sie möchte Rollen nicht nur technisch ausführen, sondern mit einer eigenen Haltung interpretieren. „Mir ist es wichtig, dass das Publikum spürt, dass ich auch eine eigene Einstellung habe. Spiele ich beispielsweise eine dramatische Rolle, die politische Dinge sagt, möchte ich durchschimmern lassen dürfen, dass ich es selber auch schlimm finde.“
Heute fühlt sie sich zu Rollen hingezogen, die eine Mischung aus Tragik und Komik bieten. Der Reiz, Rollen auch unabhängig von Geschlechterklischees zu besetzen, ist ihr treuer Begleiter. „Schaut man sich als junge Frau einmal die klassische Dramatik an, sind überwiegend Charaktere wie Julia, Ophelia, Gretchen und diese ganzen Frauen vorgegeben, die unglücklich verliebt sind und jemandem hinterhertrauern. Ich freue mich, auch andere Rollen spielen zu dürfen“, sagt Marie Eick-Kerssenbrock. Eine ihrer Traumrollen ist daher der „Werther“ von Goethe, den sie bereits im Studium verkörperte.
„Wo kommt die Figur her?“, „Was ist vielleicht vor dieser Szene passiert?“, „Was ist während der letzten Begegnung mit dieser Person passiert?“ oder „Was sieht das Publikum vielleicht gar nicht auf der Bühne?“ – mit diesen Fragen beschäftigt sich Marie Eick-Kerssenbrock, wenn sie sich auf eine neue Rolle vorbereitet. Von ihren Kollegen wird sie daher auch liebevoll als „Backstory-Schauspielerin“ betitelt, wie sie verrät. „Es macht mir so viel Spaß, in eine andere Welt einzutauchen. In ein anderes Leben. Meiner Fantasie dahingehend freien Lauf zu lassen und mich mit der Figur und deren Charakter intensiv auseinanderzusetzen. Ich muss meine Gedanken nicht teilen, aber dennoch sind sie etwas, das mir einen doppelten Boden gibt.“
Doch nicht nur die Auseinandersetzung mit einer Rolle ist Teil der Vorbereitung. Mit einem Mate Tee in der rechten Hand schlendert die Schauspielerin durch die Stadt, bevor es weitergeht zum Theater. „Ein Ritual“, wie sie sagt, das inzwischen ein fester Bestandteil vor Vorstellungen geworden ist. „Außerdem mache ich mich eigentlich immer warm. Sowohl meine Stimme, als auch meinen Körper durch bestimmte Übungen.
Am 17. November steht mit dem Stück „Kardinalfehler“ von Alistair Beaton und Dietmar Jacobs Marie Eick-Kerssenbrocks erste Premiere am Theater Krefeld und Mönchengladbach an. Eine bissige Satire, die sich mit Macht, Moral und Intrigen innerhalb der katholischen Kirche auseinandersetzt. Im Mittelpunkt stehen der Bischof und sein Generalvikar, die sich auf den bevorstehenden Besuch des Papstes vorbereiten. Doch die Vergangenheit des Bischofs holt ihn ein, als alte Geheimnisse ans Licht kommen. „Ich freue mich sehr, in diesem Stück als die junge Studentin Emma Lind auf der Bühne zu stehen, die nach dem Verlust ihrer an Krebs erkrankten Mutter auf Lügen aus der Vergangenheit stößt und die Verantwortlichen zur Rede stellt“, so Eick-Kerssenbrock. Herausforderungen und Konflikte, die entstehen, wenn persönliche und institutionelle Interessen aufeinanderprallen sowie die Frage nach der Möglichkeit der Vergangenheitsbewältigung in einem kirchlichen Kontext sind die Themenschwerpunkte dieses Stückes. „Noch bin ich nicht nervös. Das kommt bei mir eigentlich meistens erst in den Tagen vor – und am Tag der Premiere. Dann holt mich diesmal sicher auch das Bewusstsein dafür ein, dass dann ja auch viele meiner Kollegen mich das erste Mal spielen sehen“, offenbart sie.
„Für mich bedeutet Theater offene Türen, ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und die Möglichkeit, immer wieder neu anzufangen. Außerdem sehe ich es als wichtige Säule unserer demokratischen Gesellschaft und als Ort, an dem gesellschaftspolitische Verantwortung gelebt wird.“
Tickets und Aufführungstermine für "Kardinalfehler" finden Sie online auf der Webseite des Theaters Krefeld und Mönchengladbach: