Zwei Fotos, auf dem linken sieht man eine Szene aus dem Ballett "Träume" auf dem rechten eine Profilaufnahme von Sheri Cook Zwei Fotos, auf dem linken sieht man eine Szene aus dem Ballett "Träume" auf dem rechten eine Profilaufnahme von Sheri Cook
Fotos: Matthias Stutte
links: eine Szene aus dem Ballett "Tschaikowskys Träume“; rechts: Choreografie Assistentin Sheri Cook
01.03.2024
Theater

Hinter den Kulissen von „Tschaikowsky‘s Träume“

Im Gespräch mit Choreografie Assistentin Sheri Cook

Redaktion: Jessica Sindermann

Welche Begriffe kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie ans Ballett denken? „Schwanensee… Plié… Arabesque…“ – Sicher dicht gefolgt von „Tschaikowsky“. Pjiotr Iljitsch Tschaikowsky gilt als DER große Sinfoniker Russlands und zählt heute zu den bedeutendsten Komponisten der Romantik. Signifikant für seine Kompositionen ist vor allem eine expressive, gefühlsbetonte Melodik in Verbindung mit außergewöhnlicher Instrumentation. Besonders bekannt wurde er durch seine Musik von „Dornröschen“, „Schwanensee“ und „Nussknacker“, die mit Abstand zu den berühmtesten Balletten der Musikgeschichte gehören. Trotz seines Erfolges war sein Leben jedoch geprägt von Tiefen, Schicksalsschlägen und nur wenigen echten Glücksmomenten.

Diese Dualität möchten Ballettdirektor Robert North und Choreografie Assistentin Sheri Cook mit dem Ballett „Tschaikowskys Träume“ auf die Bühne bringen, welches bereits im Jahr 2008, in Norths erster Spielzeit am Theater Krefeld und Mönchengladbach, für große Begeisterung sorgte. Seit 35 Jahren mit Liebe und Leidenschaft als Assistentin an seiner Seite ist Sheri Cook. Sie lehrt seine Choreografien und assistiert ihm bei vielen seiner Choreografien. Sie selbst studierte Tanz bei Vera Volkova in Kanada, war Primaballerina des Royal Winnipeg Ballet und schloss 1979 ein Engagement an den Grands Ballets Canadiens ab, bevor sie nach New York ans Musicaltheater ging. Ich habe die gebürtige Amerikanerin, die seit der Spielzeit 2007/2008 am Theater Krefeld und Mönchengladbach als Trainings- und Ballettmeisterin engagiert ist, zum Interview getroffen und mit ihr über ihren Job und natürlich das neue Ballett „Tschaikowskys Träume“ gesprochen!

HINDENBURGER: Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?

Sheri Cook: Vor 35 Jahren haben Robert und ich gemeinsam getanzt und sind schließlich auch im privaten Leben zusammengekommen. Dann hat er mich irgendwann gefragt, ob ich nicht von New York City nach Europa ziehen möchte. Ich willigte ein und begann, von da an als seine Choreografie Assistentin zu arbeiten. Gemeinsam führten wir Regie am Teatro Regio Turin, in Göteburg, am Corpo di Ballo Dell′Arena di Verona und in Schottland für das Scottish Ballet. Als Robert dann das Ballett „Bach“ choreografiert hatte, kamen wir hierher ans Theater Krefeld und Mönchengladbach, um es zunächst in Krefeld und im Jahr 2005 dann auch in Mönchengladbach auf die Bühne zu bringen. Im selben Jahr bekamen wir plötzlich einen Anruf, dass Heidrun Schwaarz, die ehemalige Ballettdirektorin des Theaters Krefeld und Mönchengladbach verstorben war und ihr Mann Igor Kosak dringend unsere Hilfe benötige. Er machte sich damals große Sorgen um die Ballettcompagnie, denn die Regierung dachte aus Kostengründen darüber nach, die Sparte „Ballett“ zu schließen. Also unterstützten Robert und ich ihn dann hier am Theater und durften auch als Ballettdirektor und Choreografie Assistentin bleiben, als Michael Grosse im Jahr 2010 die Nachfolge von Generalintendant Jens Pesel antrat.

HINDENBURGER: Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für Ihren Job als Choreografie Assistentin?

Sheri Cook: Ich würde sagen, verfügbar zu sein, wann immer Robert über seine Ideen sprechen möchte. Denn die Arbeit für seine Choreografien beginnt bereits ein bis zwei Jahre bevor das Publikum das fertige Ballett auf der Bühne sehen kann. Ich mache die ganze „Computerarbeit“ und suche die Musik heraus. Die Ballette lerne ich alle während der Proben und mache mir sehr viele Notizen – die keiner außer mir lesen kann (lacht), aber es hilft mir zu behalten, wo wer steht. Außerdem begleite ich Robert zu allen Treffen mit der Kostümabteilung und den Bühnenbildenden. Man kann es sich so vorstellen, dass Robert der Computer ist und ich die externe Festplatte bin, die jegliche Informationen speichert und jederzeit abrufen kann.

HINDENBURGER: Erzählen Sie gerne etwas über das neue Ballett „Tschaikowskys Träume“.

Sheri Cook: Es war das erste Handlungsballett, das Robert am Theater Krefeld und Mönchengladbach choreografiert hat, seit wir das Ballett hier leiten und handelt von Tschaikowskys Leben und den Schwierigkeiten, die er hatte. Es ist aber nicht wie ein Tagebuch aufgebaut, sondern spiegelt viel mehr die Gefühle innerhalb seines Lebens wider. Denn obwohl sein Leben künstlerisch sehr erfüllt war, blieb ihm sein persönliches Glück dadurch versagt, dass die damalige Gesellschaft seine Homosexualität nicht tolerierte. Robert möchte diese Dualität auch zeigen. Daher haben wir es Tschaikowskys „Träume“ genannt. Es zeigt die guten, aber auch die schlechten Träume – auf der einen Seite wie er wunderbare Musik schreibt, die wir alle kennen, auf der anderen Seite seine innere Unzufriedenheit und gesellschaftliche Ablehnung aufgrund seiner Homosexualität.

HINDENBURGER: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Ballett „Tschaikowskys Träume“ in diesem Jahr noch einmal auf die Bühne zu bringen?

Sheri Cook: Das war tatsächlich meine Idee! Ich habe es sehr geliebt, als wir es das erste Mal aufgeführt haben und auch das Publikum liebte es und schien es in vollen Zügen zu genießen. Ich dachte mir, selbst wenn es Einzelne gibt, die das Stück vor 17 Jahren schon gesehen haben, ist es jetzt trotzdem anders. Robert arbeitet immer daran, Dinge zu optimieren und eine bessere Art und Weise zu finden, wie etwas dargestellt werden kann. Also habe ich ihn dazu ermutigt, dass wir es diese Spielzeit nochmal zeigen. Ich sagte zu ihm, dass es schon so lange her ist und die Musik wunderschön sei. Außerdem kenne jeder Tschaikowsky und seine bekanntesten Stücke. So konnte ich ihn dann überzeugen.

HINDENBURGER: Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung des Balletts und wie haben Sie diese gemeistert?

Sheri Cook: Robert würde jetzt sagen: „Es gibt immer irgendwelche Herausforderungen.“ Und dennoch schafft er es grundsätzlich, es aussehen zu lassen, als gäbe es keine. (lacht) Aber ich weiß, dass er damals zum Beispiel lange mit dem Ende, also der sechsten Sinfonie von Tschaikowsky, der „Pathetique“, gehadert hat. Er musste genau überlegen, wie er die Musik in dem Stück einsetzt für das, was er ausdrücken wollte. Also haben wir uns die Sinfonie immer wieder angehört und darüber gesprochen.

HINDENBURGER: Welche Elemente der Musik von Tschaikowsky haben Sie in Ihrer Choreografie besonders betont?

Sheri Cook: Es gab schon eine Grundidee, wie wir „Tschaikowskys Träume“ erzählen wollten. Aber bevor Robert ein Ballett choreografiert, hört er sich zunächst JEDES Musikstück des jeweiligen Komponisten an. Und er verwendet gerne auch weniger bekannte Kompositionen. Den Beginn bildet zum Beispiel die Ouvertüre der Oper „The Maid of Orleans“ und zudem verwendet er für den Ersten Akt viele Klavierstücke aus Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, die André Parfenov spielen wird.

HINDENBURGER: Wie würden Sie den Stil und die Atmosphäre des Stückes beschreiben?

Sheri Cook: Der Stil ist sehr klassisch, aber typisch Robert, würde ich sagen. Was ihn auszeichnet, ist seine stilistische Vielfalt. In seine Choreografien fließen in der Regel immer Elemente unterschiedlicher Tanzstile mit ein – von Klassik über Modern bis hin zu Jazzdance. Durch die Musik von Tschaikowsky geht der Stil dieses Stückes aber schon eher in die klassische Richtung. Die Atmosphäre ist durch Louisa Spinatellis Kulisse und Kostüme sowie durch Tschaikowskys Musik etwas Besonderes. Sowohl für das Auge als auch für das Ohr. Es ist gefüllt mit Drama, Emotionen und sogar ein bisschen Schwanensee!

HINDENBURGER: Wie haben Sie mit den Tänzern zusammengearbeitet, um Ihre Vision zum Leben zu erwecken?

Sheri Cook: Viele der Tänzerinnen und Tänzer in der Compagnie hier am Theater Krefeld und Mönchengladbach arbeiten schon längere Zeit mit uns zusammen. Daher kennen wir sie sehr gut und sie kennen Roberts Arbeit. Dieses Ballett ist ja bereits choreografiert und daher muss nicht jeder kleine Schritt neu erarbeitet werden. Es geht vielmehr um den Feinschliff und um kleine Änderungen, um das Stück noch weiter zu optimieren. Er setzt enorm auf Präzision und Musikalität und daher nimmt die Ausarbeitung mit der Compagnie viel Zeit in Anspruch – bis sie es so hören wie er es hört.

HINDENBURGER: Gibt es bestimmte Szenen oder Momente im Ballett, die Ihnen besonders am Herzen liegen? Wenn ja, warum?

Sheri Cook: Puh… ich muss kurz darüber nachdenken. Ich mag die „Souvenir de Florence“ Szene sehr, in der das gesamte Ensemble auf der Bühne ist. Sie handelt von Tschaikowsky, wie er „Schwanensee“ schreibt und nach und nach immer erfolgreicher wird durch das, was er tut. Die Gesellschaft liebt seine Musik und unterstützt ihn, Frauen möchten Zeit mit ihm verbringen und es entwickelt sich eine echte Fangemeinschaft. Diese Szene mag ich besonders, die den jungen Tschaikowsky und seinen Erfolg zeigt. Und dann gibt es einen Moment, indem er die Bühne verlässt und nach etwas weniger als zwei Minuten, vollkommen verändert, als eine ältere Version seiner selbst wiederkommt. Die Musik an dieser Stelle ist so wunderschön und der Moment ist definitiv einer meiner liebsten!

HINDENBURGER: Wie haben Sie Kostüme und Bühnenbild ausgewählt, um die Atmosphäre des Balletts zu unterstützen?

Sheri Cook: Dafür ist Luisa Spinatelli verantwortlich. Sie ist eine richtige Künstlerin auf diesem Gebiet und Spezialistin, wenn es um historische Kostüme geht, die sich gleichzeitig für das Tanzen eignen. Es gibt zwar viele, die gut darin sind, detailgetreue, historische Kostüme zu designen mit Corsagen und allem was dazugehört – was für Schauspielende sicher auch toll ist, aber eher weniger für ein Tanzensemble. Man muss sich in den Kostümen gut bewegen können. Meist läuft es so ab, dass Luisa zunächst die grundlegende Form zeichnet, denn sie kennt sich mit epochenspezifischer Mode gut aus. Im Anschluss daran findet dann ein Treffen mit der Kostümabteilung statt, bei dem Stoffe und Farben für die unterschiedlichen Charaktere besprochen werden. Und zum Bühnenbild – zum Tanzen wird natürlich Platz benötigt! Daher wären zu viele Requisiten auf der Bühne eher unvorteilhaft. In „Tschaikowskys Träume“ wird es ein bedrucktes Stoffpanel in der Bühnenmitte geben, das auf den ersten Blick massiv und undurchlässig wirkt, unter Lichteinfluss von hinten jedoch den Blick auf dahinter Tanzende offenbart. So hat das Ensemble die Möglichkeit, sowohl vor als auch hinter dem Panel zu tanzen und trotzdem vom Publikum gesehen zu werden.

HINDENBURGER: Was würden Sie sagen, für wen ist das Ballett geeignet?

Sheri Cook: Ich würde sagen für Jedermann! Auch für junge Leute, denn es ist einfach schön anzuschauen. Die Musik ist toll und die Tanzszenen dazu natürlich auch!

HINDENBURGER: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Theater bedeutet für mich…

Sheri Cook: …mit neuen Anschauungen konfrontiert zu werden, die zum Nachdenken anregen, mich vom Alltag ablenken und zeitweise in eine andere Welt entführen. Das liebe ich besonders! Für die Zeit einfach mal alles andere hinter mir zu lassen und im Anschluss mit neuen Erkenntnissen und Denkanstößen nach Hause zu gehen.

HINDENBURGER: Liebe Frau Cook, herzlichen Dank für die Einblicke in 20 Jahre Erfahrung als Choreografie Assistentin und hinter die Kulissen des Balletts „Tschaikowskys Träume“, das am 2. März im Theater Mönchengladbach seine Premiere feiert!

Wir sagen „Toi, Toi, Toi“!